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Insecta 2016 Cola-Flaschen aus Heuschrecken?

Heuschreckenbeine für Pflaster oder Cola-Flaschen: Forscher diskutieren in Magdeburg über die künftige Nutzung von Krabbeltieren.

Von Dan Tebel 13.09.2016, 01:01

Magdeburg l Heuschrecken und Mehlwürmer statt Schnitzel mit Pommes? Oder ein Teller getrockneter Larven zum Abendessen? Für die meisten Menschen in europäischen Gefilden schlichtweg unvorstellbar und höchstens als Mutprobe vor möglichst viel Publikum. Forscher wollen das Getier trotzdem in die Industrie bringen. Nicht nur als Futtermittel, sondern auch für die Medizin und Technik.

„Insekten sind Überlebenskünstler. Wenn wir herausfinden, wie sie das anstellen, können wir uns das zunutze machen“, erklärt Thomas Piofczyk von der Pilot Pflanzenöltechnologie Magdeburg (PPM), die mit einer Versuchsanlage zur Gewinnung und Verarbeitung von Pflanzenölen und –proteinen forscht.

Das Institut lud im vergangenen Jahr insektenbegeisterte Wissenschaftler zur Konferenz „Nutzung von Insekten als Lebens- und Futtermittel“ (Insecta) nach Magdeburg ein. Am Montag wurde das Kulturhistorische Museum erneut zum Treffpunkt für rund 50 Wissenschaftler aus 27 Ländern. Insekten werden derzeit als Ersatz für Fischmehl diskutiert. Fischmehl gefährde die Biodiversität der Meere. Für das Ersatzprodukt Soja wird vielfach der Regenwald abgeholzt.

Das PPM forscht derzeit unter anderem daran, wie die Öle und Fette aus Fliegenlarven industriell und technisch genutzt werden können, um sie beispielsweise in Cremes zu verwenden. Denn Insekten sind wahre Fett- und Eiweißbomben. Die ungesättigten Fettsäuren der Tiere sind in der Lebensmittelindustrie verwendbar, das Eiweiß kann vom Power-Riegel bis zum Hundefutter vielseitig zum Einsatz kommen.

Ein Insektenzüchter aus Baruth in Brandenburg hat sich das bereits zunutze gemacht und züchtet die schwarze Soldatenfliege, um daraus Insektenmehl herzustellen. Vermarktet wird das Mehl zum Beispiel als Hundenahrung.

Und die Krabbeltiere haben noch mehr zu bieten: „Insekten sind mit Chitin-Panzern ausgestattet, wie zum Beispiel die Beine der Heuschrecken“, sagt Piofczyk. Das könnte ähnlich genutzt werden, wie es bereits bei der Krabbenfischerei der Fall ist.

Die chitinhaltigen Panzer der Tiere sind dort ein Abfallprodukt. Daraus wird Bio-Kunststoff hergestellt, der für Verpackungen verwendet werden kann. Auch Wundverbände oder Plastikflaschen könnten künftig aus Krabben oder Heuschrecken hergestellt werden.

Natürlich geht es hier um zukünftige Projekte und Visionen, denn ein großes Problem für die Forscher ist die Entwicklung geeigneter Verfahren, um Produkte für die Industrie schmackhaft zu machen. „Wir brauchen neue Technologien, um die Tiere in großen Mengen zu züchten und dann vor allem effektiv zu nutzen. Daran forschen wir intensiv“, erklärt Thomas Piofczyk.

Darüber hinaus würden Partner für die Produktion und der Finanzierung fehlen, erklärt der Magdeburger Forscher weiter. „Es braucht noch viel Überzeugungsarbeit im Bereich der Politik und Wirtschaft, um die Insektennutzung langfristig auf dem Markt zu etablieren“, so Piofczyk.

Denn bislang ist die Politik sich noch nicht einig, wie sie mit den Krabbeltieren umgehen soll. Als Futtermittel für Nutztiere sind Insekten derzeit nämlich laut EU-Ordnung verboten. Schuld daran ist die BSE-Krise, seit der alle verarbeiteten tierischen Proteine in Futtermitteln tabu sind. Zudem ist die Übertragung von Allergien und Krankheiten bei Insekten noch nicht ausreichend erforscht. Ein weiterer Untersuchungsbereich für die Wissenschaftler.

Mit der internationalen Konferenz schafft das Magdeburger Institut PPM eine Plattform für den Austausch unter Interessenten. In den vorgetragenen Forschungsstudien ging es in diesem Jahr neben der Anwendung im medizinischen und technischen Bereich auch um die Nutzung als Futter- und Nahrungsmittel für Mensch und Tier sowie der Nahrungsmittelsicherheit. Im nächsten Jahr findet die Insecta in Berlin statt.