1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Wie „Milch-Genossen“ um Preise ringen

Milchpreise Wie „Milch-Genossen“ um Preise ringen

Der Handlungsspielraum der Landwirte gegenüber den Molkereien ist sehr begrenzt.

Von Helmut Reuter 14.07.2016, 23:01

Zeven (dpa) l Das Genossenschaftsmodell ist in der Milchwirtschaft vorherrschend. In Deutschland verarbeiten Genossenschaften rund 70 Prozent der produzierten Milch. Der Milchbauer profitiert von der garantierten Abnahme. Die Molkerei gewinnt Planungssicherheit für die eigene Produktion oder den Weiterverkauf. Auch die „Milch-Genossen“ schauen am heutigen Freitag nach Brüssel, wo sich die Agrarminister des Bundes und der Länder zur Krise am Milchmarkt treffen.

1. Was ist eine Molkereigenossenschaft?

In den eingetragenen Genossenschaften (eG) schließen sich Milchbauern zusammen. Sie zeichnen gestaffelt nach der Anlieferungsmenge Geschäftsanteile – pro 1000 Liter Milch können das etwa 60 bis 80 Euro sein. Das Geld muss meist nicht sofort auf den Tisch gelegt werden, sondern kann über die Jahre übers Milchgeld verrechnet werden.

Die Bauern werden mit der Einlage Anteilseigner und haben Mitbestimmungsrechte bei der Generalversammlung, persönlich oder über gewählte Vertreter. In der Satzung geregelt ist die „Andienungspflicht“, die die Landwirte verpflichtet, ihre Rohmilch exklusiv an die Molkerei zu liefern. Im Gegenzug garantiert die Molkerei die Abnahme. Die Vermarktung und Produktion der Milcherzeugnisse wird oft in andere Gesellschaftsformen wie GmbHs ausgegliedert.

2. Wer kauft die „weiße Linie“ zu welchen Preisen?

Das machen die Molkereien mit großen Einzelhandelsketten wie Aldi, Lidl und Co. aus, meist läuft das Geschäft über Ausschreibungen. Der Wettbewerb ist hart. Trinkmilch, Quark, Joghurt („weiße Linie“) werden zwei Mal im Jahr im Mai und im November verhandelt, geschnittener Käse auch. Bis 2014 wurden bei Milch meist Preiserhöhungen durchgesetzt, bei der derzeitigen Krise kann der Handel die Preise eher drücken.

Infografik: Milch wird immer billiger | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista, Referenz

3. Wie sehen die Lieferbeziehungen aus?

Es gibt je nach Genossenschaft unterschiedliche Vetragsbindungs- und Kündigungszeiten. Bei knapp der Hälfte liegen die Kündigungsfristen bei bis zu zwei Jahren, bei gut 40 Prozent über zwei Jahren, schrieb das Bundeskartellamt in einer Untersuchung im Jahr 2012. Die Behörde schaut sich gerade die Liefer- und Vertragsbeziehungen zwischen Molkereigenossenschaften und Milchbauern an. Der Grund: „Langfristige Verträge, 100-prozentige Milchandienungspflichten und ein – auch für den Lebensmitteleinzelhandel – sehr transparentes Preissystem beschränken den Handlungsspielraum der Landwirte.“

4. Was hat der Landwirt von einer Genossenschaft?

Vor allem für kleinere Milchbauern bietet das Geschäftsmodell Sicherheit, denn ihre Milch wird garantiert abgenommen, auch wenn die Preise wie zurzeit extrem niedrig sind. Das Milchgeld wird monatlich als Abschlag ausgezahlt, die Kapitaleinlage der Genossen verzinst. Das Deutsche Milchkontor – mit 4,6 Milliarden Euro Umsatz die größte deutsche Genossenschaftsmolkerei – zahlte 2015 eine Dividende von vier Prozent auf die Geschäftsanteile.

5. Wie setzt sich der Milchpreis zusammen?

Es gibt einen Basis-Preis für jeden Liter angelieferte Milch. Der Betrag wird monatlich festgelegt, manche Genossenschaften teilen die Preise ihren Bauern einen Monat im Voraus mit, damit sie planen können. Der Grundpreis für Milch mit 4 Prozent Fett und 3,4 Prozent Eiweiß ist teilweise unter 20 Cent gefallen. Um die Kosten decken zu können, gelten mindestens 35 Cent als nötig. Der Milchpreis schwankt regional und saisonal.

Auf den Basispreis kann es Zuschläge geben, je nach Produktportfolio der Molkerei. Fetthaltigere, eiweißhaltigere oder gentechnikfreie Milch können extra honoriert werden. Auch bestimmte Anlieferungsvolumen oder günstige Abholbedingungen im Zwei-Tage-Rhythmus sind als „Logistik-Bonus“ zuschlagfähig. Das bleibt aber den Molkereien überlassen.

6. Warum kündigen Landwirte?

Der Kündigungsgrund ist meist Unzufriedenheit mit der eigenen Genossenschaft. Ist die Kündigung ausgesprochen, muss sie vom Vorstand erst angenommen werden. Oft entscheidet sich der Landwirt nach Gesprächen noch anders. Der Schritt, eine Genossenschaft zu verlassen, macht nur Sinn, wenn der Milchbauer bei einer anderen Genossenschaft oder einer Privatmolkerei bessere Konditionen bekommt. Die Chancen dafür stehen derzeit schlecht.

Infografik: Anzahl der Milchbetriebe in Deutschland sinkt | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista, Referenz

7. Wie gestaltete sich der Strukturwandel?

Nach Angaben des Milchindustrie-Verbandes (MIV) steigen jährlich etwa 3 bis 5 Prozent aller Milcherzeuger altersbedingt aus der Produktion aus. Derzeit gibt es in Deutschland noch etwa 72 000 Milcherzeuger mit 4,3 Millionen Kühen.