1. Startseite
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Oliver Greie: „Geiz ist nicht geil“

EIL

Verdi-Landeschef Oliver Greie: „Geiz ist nicht geil“

Sachsen-Anhalts Verdi-Chef Oliver Greie spricht im Interview über den Wert der Arbeit, Digitalisierung und die Landesregierung.

16.08.2016, 23:01

Herr Greie, als Verdi-Landesbezirksleiter für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben Sie alle drei Länder im Blick. Wie schneidet die neue Landesregierung in Magdeburg ab?

Oliver Greie: In den ersten 100 Tagen habe ich fast nichts bemerkt von der neuen Landesregierung. Es geht haargenau so weiter wie vorher. Ich habe nicht gesehen, dass irgendein großes Thema bewegt worden ist. Mein Eindruck ist eher, dass die Koalition sehr stark mit sich selbst befasst ist. Der Mut, wirklich große Themen anzupacken und zu bewegen, fehlt bislang.

Der Ministerpräsident zog durchaus ein positives Fazit der ersten Monate.

Die eigene Wahrnehmung von Herrn Haseloff stimmt aus meiner Sicht nicht mit der Fremdwahrnehmung überein. Die Bilanz fällt nicht so gut aus, wie sie dargestellt wurde. Dazu hat auch die schwierige Situation mit dem Landtagspräsidenten beigetragen, die die tägliche Arbeit gehemmt hat. Dennoch bin ich zufrieden, dass in Sachsen-Anhalt eine regierungsfähige Koalition zustande gekommen ist.

Verdi hat in den drei Bundesländern in den vergangenen zehn Jahren fast 20.000 Mitglieder verloren. Derzeit sind rund 180.000 Menschen unter dem Dach von Verdi organisiert. Schwindet die Bedeutung der Gewerkschaft?

Das würde ich nicht sagen. Nach meinem Empfinden ist die Gewerkschaft im Zeitalter der Digitalisierung geforderter denn je. Allerdings ist die Wahrnehmung der Menschen eine andere. Daran müssen wir arbeiten und wieder rüberbringen, warum eine Gewerkschaft wichtig ist.

In Sachsen-Anhalt nimmt die Tarifbindung in den Unternehmen seit Jahren ab. Ist das ein Problem?

Ja. Wir haben in den vergangenen Jahren eine starke Tarifflucht erlebt. Viele Jahre ist es fast ein Sport gewesen, Menschen prekär zu beschäftigen. Mit der Einführung des Mindestlohns haben wir das Problem ein Stück weit beheben können. Unser Ziel ist, dass wieder mehr Unternehmen in die Arbeitgeberverbände eintreten. Dabei wünsche ich mir auch die Unterstützung der Landesregierung. Wir brauchen wieder funktionierende Sozialpartnerschaften zwischen Menschen und Firmen.

Die Landesregierung plant, bei der Förderung von Unternehmen künftig stärker auf Tarifbindung und gute Löhne zu achten.

Das ist der richtige Weg. Es ist sinnlos, Fördergelder in die Hand zu nehmen und danach weiterhin prekäre Beschäftigung in den Unternehmen zu haben. Da muss es eine ganz klare Ansage an die Firmen geben: Ihr wollt Subventionen, dann müsst ihr auch ordentlich bezahlen. Wir reden schließlich über Geld, das vom Land ausgegeben wird. Das wünsche ich mir ebenso für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. In der Vergangenheit wurde nicht beachtet, ob eine Firma einen Betriebsrat oder Tarifbindung hat. Wir haben stattdessen häufig gesehen, dass derjenige den Zuschlag erhält, der das günstigste Angebot abgibt.

Geiz ist also nicht mehr geil?

Wir müssen endlich wegkommen von dieser Mentalität. Geiz ist nicht geil, denn Dienstleistungen kosten Geld. Ich erwarte von der Landesregierung, dass sie mit Steuereinnahmen verantwortungsvoll umgeht und dieses Geld in Form von Tarifverträgen ein Stück weit auch zurück an die Bürger fließt.

Verdi-Chef Frank Bsirske schlug vor, den Mindestlohn auf zehn Euro zu erhöhen. Die Mindestlohnkommission beschloss die Anhebung auf 8,84 Euro ab Anfang 2017. Warum ist Ihnen das zu wenig?

Das, was die Mindestlohnkommission gemacht hat, ist zu kurz gedacht. Von 8,84 Euro halbwegs normal zu leben, ist sportlich. Davon sind keine großen Sprünge möglich. Zumal die Beschäftigten von ihrem Lohn auch noch für das Alter vorsorgen sollen. Das ist von diesem Mindestlohn beim besten Willen nicht möglich. Neun Euro wären das Minimum der Gefühle gewesen.

Die Digitalisierung in den Unternehmen in Sachsen-Anhalt nimmt zu. Gewerkschaften befürchten einen Arbeitsplatzabbau. Was sagen Sie?

Ich will keine Angst machen. Aber ich befürchte, dass der Faktor Mensch bei der Digitalisierung auf der Strecke bleibt. Es wird Beschäftigte geben, die ihren Job verlieren werden. Die Digitalisierung werden wir nicht aufhalten können. Wir müssen den Prozess aber vernünftig begleiten und schauen, wie wir mit den Arbeitnehmern umgehen.

Wünschen Sie sich dabei die Unterstützung der Politik?

Ja. Ich wünsche mir von der Landesregierung, dass wir eine Digitalisierungs-Konferenz machen. Wir müssen darüber sprechen, was die Digitalisierung für die Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt bedeutet. Der Wirtschaftsminister möchte, dass die Firmen mehr für die Digitalisierung tun. Ich möchte dabei nicht auf der Bremse stehen. Aber ich möchte mitgestalten und die Veränderungen arbeitnehmerfreundlich gestalten.