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Wirtschaft Wie weit darf die EZB gehen?

Der Anti-Krisen-Kurs der EZB geht vielen zu weit. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs gibt Währungshütern Rückendeckung.

Von Jörn Bender 16.02.2016, 23:01

Frankfurt/Karlsruhe (dpa) l Zur Euro-Rettung ziehen Europas Währungshüter um EZB-Präsident Mario Draghi alle Register. Vor allem Anleihenkäufe der Notenbank sind umstritten. Seit Dienstag beschäftigt sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Frage, wo der Handlungsspielraum der Europäischen Zentralbank (EZB) endet. Aber es geht noch um mehr. Auf dem Spiel steht der Wert deutscher Verfassungsgrundsätze in einem vereinten Europa (2 BvR 2728/13 u. a).

1. Worum dreht sich das Verfahren?

Im Kern geht es um Draghis historisches Versprechen aus dem Sommer 2012. Als die Eurozone vor der Zerreißprobe stand, erklärte der Italiener: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.“ Wenig später beschloss die Notenbank, unter Bedingungen notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten zu kaufen. Dieses Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) beschäftigt die Juristen bis heute.

2. Aber das Kaufprogramm wurde doch überhaupt nicht angewandt?

Kritiker werfen der Notenbank dennoch vor, sie habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Über Anleihenkäufe finanziere die EZB letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das gefährde ihre Unabhängigkeit. Auch das Bundesverfassungsgericht kam Anfang 2014 zu dem Schluss, dass die EZB ihr Mandat überschritten habe. Diese dürfe keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Zur Klärung von EU-Recht gab Karlsruhe den Fall aber an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) – ein absolutes Novum.

3. Wie haben die Luxemburger Richter geurteilt?

Der EuGH entschied: Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen – „das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten“. Die Schritte der Notenbank müssten jedoch verhältnismäßig und gut begründet sein und dürften keine wirtschaftspolitische Maßnahme darstellen. Die Luxemburger Richter wurden ihrem Ruf gerecht, eher großzügig zu sein, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Bisher hatten sie keine Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise.

4. Aber damit ist der Streit noch nicht entschieden?

Nein, denn letztendlich hat Karlsruhe zu entscheiden, was dieses Urteil nun für die deutschen Verfassungsklagen bedeutet. Maßstab der Richter ist allein das Grundgesetz. In der Verhandlung am Dienstag wurde schnell deutlich, dass sie sich trotz der Vorlage aus Luxemburg noch einmal intensiv mit dem Fall auseinandersetzen werden. Denn es geht um die Grundsatzfrage, wie weit der Arm des Verfassungsgerichts in Europa reicht. Dürfen EU-Akte überhaupt überprüft werden? Oder kann es nur darum gehen, wie sich die Bundesregierung, der Bundestag oder die Bundesbank zu verhalten haben? Und welche Bindungswirkung hat ein Urteil des EuGH? Die EZB-Entscheidung gibt also die Linie vor für künftige Interessenskonflikte im europäischen Gefüge.

5. Wie könnte das Karlsruher Urteil ausfallen?

Das lässt sich nach Dienstag nur erahnen. EZB-Direktoriumsmitglied Yves Mersch musste sich auf jeden Fall viele kritische Nachfragen gefallen lassen. Volkswirte fordern, Karlsruhe solle sein Urteil zumindest dazu nutzen, deutsche Vorbehalte festzuschreiben. „Wir sind dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein Signal nach Luxemburg und Frankfurt sendet, dass man nicht einfach machen kann, was man will“, betont der Wirtschaftsweise Lars Feld. Durch eine Begründung, die von der Pro-EZB-Entscheidung des EuGH abweicht, könnte sich Deutschlands höchstes Gericht auf nationaler Ebene die Kontrolle über künftige EZB-Maßnahmen zur Euro-Rettung vorbehalten. Beobachter halten eine solche Kompromiss-Linie für durchaus wahrscheinlich. Ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten erwartet.

6. Was bedeutet das Verfahren für das laufende Kaufprogramm der EZB?

Direkt nichts. Denn es geht nicht um die Anleihenkäufe, die seit dem 9. März 2015 laufen („Quantitative Easing“, QE). Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere – und das bis mindestens März 2017. Hier fließt das Geld aber nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Über Geschäftsbanken soll es als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Konsum und Investitionen und so auch die Inflation anheizen. Auch gegen dieses Programm liegt schon eine Verfassungsbeschwerde vor. Die EZB wird Karlsruhe also weiter beschäftigen.