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Wirtschaftspolitik „Jeder Mensch ist ein Macher“

Die Debatte um die Wirtschaftspolitik schadet Sachsen-Anhalt, sagt Felix von Nathusius im Volksstimme-Interview.

27.07.2015, 23:01

Volksstimme: Herr von Nathusius, warum ist die derzeitige Debatte zur wirtschaftlichen Entwicklung schlecht für Sachsen-Anhalt?

Felix von Nathusius: So wie diese Auseinandersetzung geführt wird, schadet sie dem Land. Ich verstehe, dass die wirtschaftliche Lage bei den Bürgern in Sachsen-Anhalt eine große Rolle spielt. Deswegen wird das Thema für den Wahlkampf benutzt. Aber dabei müssen wir uns auf einen breiteren Blickwinkel einlassen und dürfen nicht nur auf einzelne Zahlen schauen.

Aus Ihrer Sicht ist diese Diskussion also nur politische Show?

Ja, ein großer Teil ist politisches Geplänkel. Einzelne Zahlen sind sicher wichtig und müssen betrachtet werden. Das schwache Wachstum des Bruttoinlandsproduktes zum Beispiel darf nicht schöngeredet werden. Dafür gibt es Gründe, Erklärungen, die aber auch keine Entschuldigungen sein dürfen. Die Analyse muss trotzdem stattfinden. Gleichwohl ist es kein Grund zu sagen, die Wirtschaftspolitik oder die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Land wären schlecht. Es gibt ebenso Zahlen, die für eine gute wirtschaftliche Entwicklung sprechen, etwa die Wertschöpfung oder die Steuereinnahmen pro Kopf. Klar, gibt es auch Statistiken, bei denen Sachsen-Anhalt die rote Laterne trägt. Ich würde sagen, wir nehmen uns diese rote Laterne und leuchten mit ihr die Chancen aus, die wir haben ...

... aber noch nicht nutzen?

Ja. Ich finde, wir haben in einigen Bereichen Steigerungspotenzial. Die geografische Lage ist ein Punkt, den wir noch besser ausnutzen könnten. Wir leben hier im Speckgürtel von Berlin, des am stärksten wachsenden Bundeslandes in Deutschland. Eine Stadt wie Magdeburg muss sich fragen, wie sie die Start-up-Generation anlockt, damit die jungen Unternehmer ihre Firmen hier gründen.

Wie kann das gelingen?

Magdeburg muss Platz schaffen für kreative Gründer. Aber dafür müssen Politiker zunächst verstehen, was diese Generation will. Man muss sich die Leute herholen, hinfahren und verstehen lernen. Was treibt die jungen Unternehmer an, welche Motivation haben sie und was brauchen sie, um erfolgreich zu starten. Da kann ich die Antworten nicht geben. Aber das Land muss jetzt in einen Lernprozess einsteigen, um attraktiver zu werden für die Start-up-Szene.

Das negative Bild von Sachsen-Anhalt im Kontext von Fremdenfeindlichkeit wirkt allerdings eher abstoßend.

Das ist ein großes Problem. Wenn junge Leute nur diese eine Meinung von Sachsen-Anhalt haben – nämlich, dass hier nur Rechtsradikale durch die Straßen ziehen – dann werden sie sich Magdeburg nicht angucken. Aber dieses Bild ist falsch. Ich habe ganz andere Erfahrungen gemacht. Meine Frau ist Engländerin, wir leben hier auf dem Dorf. In unserem Unternehmen sind viele Amerikaner, wir hatten Projektteams aus China in Haldensleben vor Ort. Es ist nie vorgekommen, dass diese Menschen auf der Straße beschimpft worden sind. Vielmehr fanden sie hier einen guten Zugang zur Gesellschaft und sind mit offenen Armen empfangen worden.

Sachsen-Anhalt ist ein schönes, kulturreiches Land. Magdeburg ist eine spannende Stadt. Da gibt es viel zu entdecken für junge Leute. Das sind Dinge, die nach vorne getragen werden müssen. Wir sind nicht weit weg von Berlin. Magdeburg könnte ähnlich wie Leipzig von der tollen Entwicklung in der Hauptstadt profitieren.

Die SPD kritisierte die Wirtschaftspolitik der CDU und insbesondere Wirtschaftsminister Hartmut Möllring als leidenschaftslos und lethargisch. Teilen Sie diese Einschätzung?

Überhaupt nicht. Das Wirtschaftsministerium macht eine sehr solide und hervorragende Wirtschaftspolitik. Mifa ist ein tolles Beispiel dafür, wie das Ministerium im Interesse des Landes flexibel, dynamisch und unbürokratisch gearbeitet hat, um ein traditionsreiches Unternehmen zu erhalten. Es ist eine Stärke von Hartmut Möllring, dass er seine Energie für diese Dinge aufwendet und sich nicht an unproduktiven Diskussionen beteiligt.

Sie setzen also auf ein CDU-geführtes Wirtschaftsministerium auch nach der Landtagswahl im kommenden Jahr?

Mein Wunsch ist, dass sich diese Arbeit fortsetzt. Dort arbeitet ein echtes Erfolgsteam zusammen. Es ist ein Glücksfall für Sachsen-Anhalt, einen Politik-Manager aus dem wirtschaftlich erfolgreichen Niedersachsen zu haben. Hartmut Möllring hat sehr guten Kontakt zu den Unternehmen und er fördert das wichtige Netzwerk zwischen Wirtschaft und Wissenschaft.

Sind Netzwerke eine Möglichkeit, um kleine und mittelständische Unternehmen zu Innovationen anzuregen?

Das ist ein Weg. Innovationen entstehen aus der Breite der Belegschaft, aber auch aus der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Forschungsinstituten. Auch IFA Rotorion ist sehr aktiv in Netzwerken. Aber da können wir noch besser werden, auch überregional. Die Rahmenbedingungen der mitteldeutschen Bundesländer sind sehr vergleichbar. Wenn man länderübergreifend auf Stärken setzt und sich vernetzt, kann das hilfreich sein. Auch für kleine und mittelständische Unternehmen.

Sehen Sie ein Innovationsdefizit in Sachsen-Anhalt?

Die Innovationskraft, die hier im Land liegt, ist bahnbrechend. Sachsen-Anhalt hat sich in den vergangenen 25 Jahren grunderneuert. Es gibt keine Kernregion in Europa, die Vergleichbares in den zurückliegenden Jahrzehnten geleistet hat. Hier auf ein Innovationsdefizit zu verweisen ist schlichtweg falsch. Sachsen-Anhalt sollte sich auf diese Stärke besinnen.

Wie müssen sich die Unternehmen verändern, um innovativer zu sein?

Hier müssen wir als IFA, aber auch viele andere Firmen dazulernen. Innovationen entstehen nicht in einer Forschungsabteilung. Innovationen entstehen aus der Breite der Belegschaft.

Wie meinen Sie das?

Blicken Sie auf Google – eines der innovativsten Unternehmen. Da sind die Ideen nicht irgendwo in einer Entwicklungsabteilung eingeschlossen. Bei Google macht sich die gesamte Belegschaft Gedanken über die Zukunft. Auch bei IFA Rotorion versuchen wir die Belegschaft mit einzubinden. Wir belohnen Ideen und Innovationen mit Preisen und Auszeichnungen. Die Kunst für mich als Geschäftsführer besteht darin, den Menschen dazu zu bringen, dass er selbst überlegt und aktiv ist. Wir wollen Unternehmer im Unternehmen.

Das heißt, Sie geben die Rahmenbedingungen vor und setzen auf die geistige Freiheit Ihrer Belegschaft?

Richtig. Ich denke, jeder Mensch ist ein Macher. Wir leben in unserem Unternehmen eine Wirtschaftsphilosophie, die sehr stark im angloamerikanischen Raum verwurzelt ist. Also: die Mitarbeiter einzubeziehen, Rahmenbedingungen festzulegen, aber gleichzeitig Freiheit zu schaffen. Ich will den Menschen klar machen, dass sich Eigeninitiative lohnt. Das Beste, was einem Unternehmen passieren kann, sind Menschen, die jeden Tag in die Firma kommen und sagen: Heute will ich es ein bisschen besser machen als gestern.

Diese Erfahrung haben Sie gemacht, als Sie mit Ihrem Unternehmen einen Standort in den USA eröffneten?

Richtig. Unter den Mitarbeitern ist eine unglaubliche Kraft entfesselt worden, als wir den ehemaligen Daimler-Standort übernommen haben. Vorher ist das Werk sehr stark aus der Zentrale in Deutschland heraus geführt worden. Die Mitarbeiter kannten diesen Freiheitsgrad nicht. Wir haben dort in relativ kurzer Zeit keine Verluste mehr gemacht und sind sehr stark gewachsen. Das war ein gesamtheitliches Erlebnis, weil wir Verantwortung von hier in die USA abgegeben haben. Dort haben wir unsere Mitarbeiter machen lassen, haben sie belohnt und ermuntert noch aktiver zu werden. In vielen Menschen schlummert ein ungeahntes Potenzial, das man nur freisetzen muss.