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Einzigartige Momente fehlen Die Mutlosen - Sind Preisverleihungen in der Krise?

Nach der viel gescholtenen Goldenen Kamera stellen Promis wie Jan Böhmermann und Medienkritiker deutsche Preisverleihungen infrage. Sie fordern mehr Mut. Den könnte Vox schon in einer Woche beim Echo beweisen.

Von Thomas Bremser, dpa 31.03.2017, 10:58

Berlin (dpa) - Überraschte Gewinner, tränenreiche Dankesreden, politische Seitenhiebe und hin und wieder ein kleiner Skandal: Wenn in den USA Golden Globes, Oscars oder Grammys verteilt werden, spricht danach oft die ganze Welt darüber. 

"Ich weiß noch, wie sehr ich mich früher auf die MTV Movie Awards gefreut habe", erzählt der Schauspieler und Musiker Matthias Schweighöfer der Deutschen Presse-Agentur. "Sobald man eine Preisverleihung im Fernsehen überträgt, sollte sie unterhaltend sein. Die Amerikaner können das halt."

Und die Deutschen? Können die das auch? "Ich habe mich zwischenzeitlich in ein türkisches Gefängnis gewünscht, weil ich gedacht habe, es ist vielleicht unterhaltsamer und ein kleines bisschen spannender." So verheerend fällt das Urteil des Satirikers Jan Böhmermann zur Verleihung der Goldenen Kamera aus. "Ich habe die ganze Zeit dagesessen und gedacht: Warum bin ich gekommen?", sagte der ZDF-Moderator in seinem Spotify-Podcast nach der Gala Anfang März, die in seinem Haussender übertragen wurde.

Vor allem ein merkwürdiger Auftritt der Moderatoren Matthias Matschke und Annette Frier hatte viele Zuschauer ratlos zurückgelassen. Noch mehr Aufsehen - der belustigten Art - erregte ein Double von Ryan Gosling, das statt des Weltstars die Auszeichnung entgegennahm. Das ZDF wollte sich zur Kritik seines Moderators auf Anfrage nicht äußern.

Aber: Böhmermann ist nicht der einzige, dem die Preisverleihungen nicht gefallen. "Es fehlt an ausreichender Finanzierung, aber auch am Mut der Verantwortlichen, von den üblichen Ritualen abzuweichen", urteilt Medienkritikerin Joan Bleicher von der Universität Hamburg. Auch die Protagonisten solcher Shows - also die prominenten Preisträger und Laudatoren - müssten sich hinterfragen. "Es fehlt nicht nur der Mut, es fehlt auch an geeigneten Darstellern für diese komischen Inszenierungen. In den USA hat das eine lange Tradition. In Deutschland wirkt es eher ungewohnt und künstlich." Das sieht ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber ähnlich: "Das professionelle Selbstverständnis – mein Publikum zu unterhalten – ist nicht bei jedem deutschen Preisempfänger vorhanden." 

Kommende Woche zeigt erstmals der Privatsender Vox den Musikpreis Echo - allerdings nicht live am Donnerstagabend, sondern rund 24 Stunden später am Freitag. Bringt das frischen Wind in die von Medien oft kritisierte Musik-Gala? "Vox kann jetzt zeigen, dass sie es draufhaben. Aber es bleibt eine Herausforderung", meint der Musiker Peter Maffay im dpa-Gespräch. "Der Echo hat seine Dellen bekommen, die Quoten blieben manchmal unter den Erwartungen." 

In der Tat schwankt das Interesse an Preisverleihungen. Während sich Echo und Bambi (mit Ausreißern) ungefähr auf gleichem Niveau bewegen, verlor die Goldene Kamera in den vergangenen fünf Jahren zwei Millionen Zuschauer. Der Deutsche Film- und der Deutsche Fernsehpreis sind inzwischen in etwa so beliebt wie Telenovelas am Nachmittag. Aber liegt das allein an der angeblichen Mutlosigkeit von Gala-Machern und Gästen?

"Das Interesse an Star und Glamour ist konstant. Jedoch kann man das Leben der Stars mittlerweile dauerhaft online verfolgen und sich das Best of der Preisverleihungen in den sozialen Netzwerken ansehen", sagt die Medienkritikerin Bleicher. Die Dauerpräsenz der Promis empfindet auch ARD-Mann Schreiber als Quoten-Hemmnis. "Vor 50 Jahren versammelte eine erfolgreiche Preisverleihung Stars, die Zuschauer selten zu Gesicht bekamen. Heute ist nahezu jede öffentliche Person jederzeit via YouTube, sozialen Netzwerken etc. sichtbar."

Preisverleihungen müssten nach Ansicht der Experten etwas bieten, das Zuschauer nicht tagtäglich online geboten bekommen. "Sie leben in erster Linie von einzigartigen Momenten... Davon, dass sich große, emotionale Momente mit lustigen und manchmal auch schrägen Situationen abwechseln", findet der Vox-Chefredakteur Kai Sturm.

Es bleibt abzuwarten, wie sein Sender dies kommende Woche beim Echo umsetzen wird. Mehr Mut würde sicher nicht nur den Zuschauern vor den Bildschirmen gefallen, sondern wohl auch den Stars im Gala-Publikum. Denn: "Man langweilt sich manchmal", gibt Maffay offen zu.

Meedia.de zur Böhmermann-Kritik