Der Fall Barschel

Erst ein Politik-Skandal, dann der mysteriöse Tod des früheren Kieler Regierungschefs: Um den Fall Barschel gibt es zahllose Spekulationen. Starb der CDU-Politiker 1987 aus eigenem Willen oder weil er ein Sicherheitsrisiko war? Ein ARD-Thriller führt in eine dunkle Welt.

Von Wolfgang Schmidt, dpa 05.02.2016, 23:01

Kiel (dpa) - Wie durch ein Wunder überlebt ein Spitzenpolitiker einen Flugzeugabsturz - als einziger. Vor seiner auf Messers Schneide stehenden Wiederwahl platzt eine Bombe: Ein Staatskanzlei-Referent hatte den Gegenkandidaten bespitzeln lassen, eine anonyme Steueranzeige gegen ihn lanciert und Aids-Gerüchte über ihn gestreut.

Als Auftraggeber bezichtigt er dann den Ministerpräsidenten, der Wochen später tot in einer Genfer Hotelbadewanne liegt. Zu viel Fantasie? Alles ist so geschehen. Die ARD hat aus dem Polit-Krimi von 1987 einen Thriller gemacht, den das Erste heute (20.15 Uhr) im Rahmen eines Barschel-Themenabends zeigt.

Der Fall Barschel verknüpft die unglaubliche reale Skandal-Tragödie (Waterkantgate) um den früheren Kieler Ministerpräsidenten Uwe Barschel (Matthias Matschke) mit der glaubwürdigen fiktiven Story um zwei Investigativ-Journalisten (Alexander Fehling, Fabian Hinrichs). Mit dem glänzend gemachten Zweiteiler bringt der Regisseur und Drehbuch- Mitautor Kilian Riedhof ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte ins TV. Er zeichnet das Bild einer Allianz zwischen Politik-Elite, Waffenhändlern und aus dem Ruder demokratischer Kontrolle geratenen Geheimdienstlern. Es geht auch um das Ethos von Journalisten.

Nahm sich der CDU-Politiker das Leben, weil er nach seinem Rücktritt im Zuge der Wahlkampfgemeinheiten des Referenten Reiner Pfeiffer (Martin Brambach) gegen den Rivalen Björn Engholm (SPD) keinen Ausweg sah? Das glaubten damals viele. Das Foto mit des toten Barschel in der Badewanne von Zimmer 317 im Beau Rivage schockierte die Republik.

Barschels Familie ging stets von Mord aus. Toxikologen kamen zu dem Schluss, die letzte tödliche Dosis eines Medikamentencocktails, an dem Barschel starb, habe er nicht mehr selbst einnehmen können. Weitere Indizien sprechen für Mord, den keiner beweisen kann. Ein Tatverdächtiger und ein konkretes Motiv waren nicht zu finden. Dem und viel mehr geht der Film trotz aller Fiktion sehr seriös nach.

Der Tod Barschels bleibe ein Rätsel, befand Ex-Generalstaatsanwalt Erhard Rex 2012. Ein Mord, der keiner sein durfte heißt ein Buch von des Ex-Chefermittlers Heinrich Wille, Fachberater für den Film. Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass es Mord war, sagt er. Bei Giftmord eines unbekannten Täters kann es zwar einen Rest Unsicherheit geben; die Argumente gegen die Möglichkeit eines Suizids überwiegen aber deutlich.

Verwicklung in dubiose Waffengeschäfte gilt meist als Hintergrund für Mord, hinter dem Geheimdienste gesteckt haben sollen: wahlweise Mossad, CIA oder andere. Ein Staatskomplott sieht im Film der Journalist David Burger (Alexander Fehling). Barschel ist mit Wissen der Bundesregierung ermordet worden?, fragt ungläubig sein Ressortchef. Wenn die Bonner mich fallenlassen, dann lernen die mich kennen, sagt im Film Barschel in einem abgehörten Telefonat.

Es sind 180 packende Minuten mit fulminanter Kameraführung und Top-Schauspielern. Edgar Selge mimt den Ressortchef in der fiktiven Neuen Hamburger Zeitung, Antje Traue Burgers Geliebte mit BND-Nähe, der Wallander-Darsteller Rolf Lassgård einen Agenten aus Südafrika, Margarita Broich Pfeiffers Ex-Freundin Elfriede Jabs.

Matschkes Spiel kommt Barschel ganz nah. Als der Skandal passierte, ging mir diese Stimme nicht mehr aus dem Kopf, sagt er. Barschel starb wenige Tage, bevor Matschke 19 wurde. Zum einen diese Tonart, das Norddeutsche, das Dozierende, aber auch ein absoluter Wille nach Korrektheit und ein ständiger Machtanspruch liegen in der Stimme. Seltsam verloren sieht Matschke Barschel: Ich wüsste nicht, wo er mit sich im Reinen und im Gleichgewicht war. Ich habe ihn mir immer als wankend vorgestellt, als immer hinterher, als einen von sich Verfolgten, einen Getriebenen. Genau so zeigt er ihn im Film.

Barschel hatte in einer spektakulären Ehrenwort-Pressekonferenz seine Unschuld beteuert. Für eine Urheberschaft von ihm an Pfeiffers Wahlkampftricks gibt es auch keine Beweise. Aber er wusste von der Steueranzeige, und er drängte Mitarbeiter zu Falschaussagen.

Angeblich war Barschel aus dem Gran-Canaria-Urlaub nach Genf gereist, um einen Entlastungszeugen zu treffen. In der Stadt tummelten sich Waffenhändler und Geheimdienstler, passt, oder? Glaubt man aber einer Mitarbeiterin von Barschels Ferienanlage, war der 43-Jährige aus purem Zufall nach Genf geflogen und nicht nach Zürich oder Madrid.

Der Film greift Spekulationen über illegale Waffendeals im Dreieck zwischen der Kieler Werft HDW, der DDR und dem Apartheids-Regime in Südafrika auf. Er fragt, ob Barschel ermordet wurde, weil er Wissen darüber nicht preisgeben durfte. Und er schildert Netzwerke, die die Demokratie bedrohen. Die von dem Ganzen infizierten Journalisten geraten immer tiefer in einen Sumpf, der keinen Boden zu haben scheint. Dieser Fall kontaminiert jeden, der sich damit beschäftigt, sagt Regisseur Kilian Riedhof.

Homepage Matthias Matschke

Gesamtdokumentation der Generalstaatsanwaltschaft von 2007

Bericht von Ex-Oberstaatsanwalt Heinrich Wille von 2007

Das Erste zum Film

Interview mit Alexander Fehling

Interview mit Matthias Matschke