Der Verlust

Zum ersten Todestag von Siegfried Lenz zeigt das ZDF eine Verfilmung des Romans Der Verlust. Der Drehbuchautor und Regisseur Thomas Berger hat das Buch, in dem es um Sprachverlust nach einem Schlaganfall geht, mit einem tödlichen Unfall und einem Doppelleben aufgepeppt.

Von Matthias Hoenig, dpa 04.10.2015, 23:01
Heino Ferch spielt die männliche Hauptrolle in «Der Verlust». Foto: Marion von der Mehden/ZDF
Heino Ferch spielt die männliche Hauptrolle in «Der Verlust». Foto: Marion von der Mehden/ZDF ZDF

Hamburg (dpa) - Mit einem tödlichen Unfall beginnt Der Verlust: Süßholz raspelnd fährt Uli (Heino Ferch) mit seiner Lebensgefährtin Nora (Ina Weisse) nachts durch Hamburg auf seinem Fahrrad, er ignoriert völlig rätselhaft ein entgegenkommenden Auto, das beim Ausweichmanöver einen Passanten überfährt.

Was wie ein Actionfilm oder Krimi beginnt, entwickelt sich in den folgenden anderthalb Stunden zu einem elegischen Kammerspiel vor Hamburger Postkarten-Hafenkulisse und horizontverlorener Nordsee-Landschaft. Am Ende des Seelenmelodrams stehen die Hauptfiguren des Films als ziemlich einsame Verlierer ihres Lebens da.

Im vergangenen Jahr war die Verfilmung der Siegfried-Lenz-Erzählung Die Flut ist pünktlich mit 6,43 Millionen Zuschauer (Marktanteil: 19,3 Prozent) am 24. Februar 2014 Tagessieger. Jetzt hat der Drehbuchautor und Regisseur Thomas Berger sich den Lenz-Roman Der Verlust als Vorlage genommen. Das ZDF strahlt den Film an diesem Montag um 20.15 Uhr als Fernsehfilm der Woche aus - zwei Tage vor dem ersten Todestag des Schriftstellers (Deutschstunde), der am 7. Oktober 2014 im Alter von 88 Jahren starb.

Mit Schauspielern der Extraklasse kann Berger sein leidvolles Seelen-Psychogramm ins Rollen bringen: Neben Heino Ferch und Ina Weisse, die bereits in der ersten Lenz-Verfilmung eine Hauptrolle spielte, beeindruckt Fritzi Haberlandt als Ulis langjährige Freundin Karin Petersen. Meret Becker verkörpert Hilde Martens, die vor langer Zeit vier Jahre mit Uli zusammen war und dann statt ihn seinen ebenfalls um sie werbenden Bruder Frank heiratete. Seit 16 Jahren sprechen die Brüder kein Wort mehr, erfährt der Zuschauer nach dem Schlaganfall - der alles verändert, das Doppelleben Ulis mit zwei Frauen aufdeckt und nie geheilte seelische Wunden neu bluten lässt.

Am Tag nach dem mitverschuldeten Autounfall erleidet Uli den Schlaganfall und kann nicht mehr sprechen. Ausgerechnet er, der auf einer Barkasse den Gästen den Hafen und die Mentalität der Hamburger wortgewandt und mit Esprit erklärte, den die Frauen vor allem wegen seiner Stimme liebten und dem sie so gern zuhörten.

Für Ferch, der in ungezählten TV- und Kinofilmen Präsenz zeigt, ist die Rolle als Uli eine große Herausforderung gewesen. Im Krankenhausbett liegend, bleibt ihm fast nur seine Mimik als Ausdrucksmöglichkeit. Er kann nicht mehr sprechen. Der Arzt Dr. Nicolai (wunderbar lakonisch: Peter Kremer) hält ihm Zettel hin, auf die der Kranke Begriffe schreiben soll - einmal steht dort holperig Geschangenhaft, so fühlt sich Uli.

Gänsehaut erzeugt eine Szene, als der verhasste Frank seinen Bruder im Krankenhaus besucht. Uli implodiert, als Frank das Zimmer betritt, würgt die ersten Worte seit seinem Schlaganfall: raus, raus!. Zorn, Wut und Hilflosigkeit mischen sich in Ulis Gesicht, er stürzt vor Erregung aus dem Krankenbett.

Als Nora über Ulis Handy von dessen zweiter Partnerin erfährt, reist sie an die Küste, um Karin zu treffen. Die Annäherung ist mühsam, wie ein Duell in einem Western wirkt es, als die beiden Frauen in freier Landschaft aufeinander zugehen, um das Gespräch zu suchen. Zu den seelischen Schmerzen lässt Regisseur Berger den Regen auf Autoscheiben prasseln, oder dunkle Wolken dräuen am Horizont.

Gedreht wurde auch auf der dänischen Insel Römo mit ihrem riesigen Strand, auf dem das Auto von Nora wie in einer Produktwerbung in Szene gesetzt wird. Bergers filmische Handschrift sind dunkle Blau- und Grau-Töne. Die Landschaft und die Musik bilden mit den kammerspielartigen Dialogszenen eine ganz eigene, intensive Komposition. Als hätte Berger dem 1981 von der Literaturkritik teils verrissenen Roman allein nicht vertraut, hat er den Unfall erfunden und lässt einen Kommissar lange ermitteln, bis ein Blackout für Ulis Nichtreagieren feststeht. Auch Ulis langjährige Partnerin Karin und damit sein Doppelleben sind eine zusätzliche Ingredienz von Berger.

Am Ende stehen einsame Verlierer des Lebens da: zwei betrogene Frauen, ein kranker Mann, der nicht so recht weiß, wo er hingehört, und eine offensichtlich wenig glücklich verheiratete Hilde. Nora hatte ihren ersten Mann an Krebs verloren, Karins Kind starb am ersten Lebenstag. All das Leiden und die Sehnsüchte der Protagonisten erinnern an den Titel eines wunderschönen Kinofilms von Helmut Dietl aus dem Jahr 2005, in dem Ferch ebenfalls mitspielte: Vom Suchen und Finden der Liebe. Nur dass es hier diesmal heißen müsste: Vom Suchen und Nichtfinden der Liebe.

ZDF-Pressematerial zum Fernsehfilm der Woche "Der Verlust"