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Heimat ist kein Ort

Das Thema Heimat ist aktueller denn je, gerade angesichts der Flüchtlingsströme in Europa. Und da passt die ARD-Themenwoche Heimat nun gerade sehr gut.

Von Klaus Braeuer, dpa 08.10.2015, 23:01

Berlin (dpa) - Die Familie kann sich bekanntlich niemand aussuchen. Und wenn sie aufeinandertrifft, dann kann es ziemlich ungemütlich werden. Das ist in dem Film Heimat ist kein Ort recht trefflich zu bestaunen, zu sehen ist das Ganze an diesem Freitag (20.15 Uhr) im Rahmen der ARD-Themenwoche Heimat.

Bei der Testamentseröffnung ihres Vaters stoßen sie aufeinander: Inge (Marie Gruber) und ihre beiden Brüder Klaus (Jörg Schüttauf) und Uwe (Sönke Möhring). Der verlesene Nachlass hat es in sich: Alle drei müssen innerhalb von 14 Tagen nach Polen reisen, um die Asche des teuren Verblichenen an genau bestimmten Orten zu verstreuen. Falls sie diesem letzten Willen nicht nachkommen, verfällt jeglicher Anspruch auf das Erbe und geht an die Landsmannschaft zur Pflege der kulturellen Güter Ostpreußens über. Das soll nun wirklich nicht sein, und so macht sich das ungleiche Trio in einem klapprigen Bus auf den Weg, gemeinsam mit Inges Tochter Jule (Karolina Lodyga) und dem polnischen Notar Krzysztow (Piotr Witkowski).

Das Geschwister-Trio könnte wirklich nicht unterschiedlicher sein: Inge (54) gibt sich als bissige Stationsleiterin in einem Krankenhaus und entwickelt zunehmend matronenhafte Züge, was ihrer studierenden Tochter ziemlich auf den Keks geht - bis sich Jule in den sympathischen jungen Notar verliebt, der sie begleitet. Klaus (53) ist Alkoholiker und trauert seiner davongelaufenen Gattin nach, während Uwe (44) im Heim aufgewachsen war, bislang offenbar überhaupt nichts Gescheites gelernt hat und die Hunde anderer Leute spazieren führt. Dass er obendrein auch noch schwul ist, lässt ihn erst recht nahezu am Leben verzweifeln - trotz der kleinen bunten Glückspillen, die er sich regelmäßig einwirft. Seine Geschwister lernen nun aber endlich, seine Homosexualität zu akzeptieren.

Sönke Möhring (43, Inglorious Bastards, Koslowski & Haferkamp) spielt diesen Uwe ziemlich klischeefrei - selbst kurze Momente mit Schlafbrille und Slip mit Leopardenmuster wirken lustig, aber glaubhaft. Dieser Uwe hat ja nichts gebacken gekriegt. Er ist progressiv nach außen gekehrt, also leicht überdreht, und hat ziemlich freche, kecke Sprüche drauf, sagte Möhring der Deutschen Presse-Agentur. Er hat sicher eine gewisse Torschlusspanik und auch eine ziemliche Zickigkeit - je älter man als Single wird, desto unleidlicher wird man wohl. Alles in allem sind das eher unrunde Eigenschaften, aber sie machen Uwe eigentlich erst liebenswert.

Dass die Stimme des Vaters aus dem Off die ganze Familiengeschichte erzählt, mutet zunächst etwas absurd an, erzeugt dann aber eine schon fast melancholische Stimmung. Denn an genau den Punkten, von denen der Vater erzählt, gibt es kleine filmische Rückblenden. Die Spurensuche führt diese merkwürdige Familie (denn natürlich ist sie irgendwie doch eine) an geradezu idyllische Orte; ganz nebenbei werden die Wurzeln (samt Krieg und Vertreibung) der einzelnen Personen offengelegt. Alle drei Geschwister hatten eine völlig unterschiedliche Kindheit und fühlten sich auf jeweils eigene Weise vergessen und verlassen - und allen dreien wird klar, dass sie in ihrem Leben etwas ändern müssen. Regisseur Udo Witte zeigt dieses mühsame Zusammenraufen mit sehr spielfreudigen Schauspielern, ziemlich herbem Charme, einer Prise Sentimentalität, viel Zoff - und etwas zu viel Matsch.

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