Paradies: Hoffnung

Melanie ist 13 und ganz schön pummelig. In den Sommerferien soll sie zum Abspecken in eine Klinik in die Berge. Doch die Teenagerin hat ihren eigenen Kopf und spielt nicht mit.

Von Klaus Braeuer, dpa 09.02.2016, 23:01

Berlin (dpa) - Wenn ein Film Paradies: Hoffnung heißt, darf man misstrauisch werden. Ums Paradies geht es wahrscheinlich nicht, und wie viel Grund zur Hoffnung besteht, bleibt offen. So ist es auch am Mittwoch, 10. Februar (23.20 Uhr), auf Arte.

Im gleichnamigen Film steht die 13-jährige Melanie (Melanie Lenz) im Mittelpunkt, die mit 75 Kilogramm etwas zu viel auf den Hüften hat. Deshalb wird das kleine Moppelchen von seinen Eltern über die Sommerferien in eine Klinik im österreichischen Wechselgebirge gesteckt, wo es auf andere übergewichtige Teeanger trifft, die ebenfalls abnehmen sollen.

Bald raucht sie ihre erste Zigarette, spielt Flaschendrehen - samt gegenseitigem Ausziehen - und findet rasch ein paar Freundinnen, denen es ähnlich ergeht: Vivian (Vivian Bartsch) und Hanni (Johanna Schmid). Die Mädels bekommen eingetrichtert, was Respekt und Disziplin bedeuten. Das Trillern der Pfeife des Sportlehrers (Michael Thomas) heißt, dass nun alle ruhig sein müssen.

Später telefonieren sie mit den Eltern, um sich darüber zu beschweren, dass sie in diesem depperten Diätschuppen abhängen müssen. Man sieht sie beim Sport, beim Essen, beim Baden im See und beim Partymachen in der Küche oder auf dem Zimmer. Da liegen sie auf dem Etagenbett und philosophieren über das Leben, die Liebe und den Sex. Es geht um so wichtige Fragen, ob die Freundin unten herum rasiert ist oder ob Küssen und Lecken ästhetisch sind.

Und natürlich reden sie über Männer, von denen manche ihr Interesse wecken. Der schlanke Arzt (Joseph Lorenz) der Klinik zum Beispiel, der die Mädchen untersuchen muss. Was machen Sie eigentlich, wenn Sie kein Arzt sind? - Ich bin immer Arzt. Melanie fragt ihn ganz schön aus, nach seinem Privatleben. Doch er hat wohl keins und gibt sich zurückhaltend, selbst bei einer zufälligen Begegnung nach dem Duschen. Indes, es hilft alles nichts: Schließlich verliebt sich Melanie Hals über Kopf in den 40 Jahre älteren Mann.

Anfangs zeigt er professionelle Distanz, so dass Melanie glaubt, da wäre gar nichts bei ihm - bis es dann doch zu einer zärtlichen Umarmung kommt, mitten im Sommerwald. Sie lauert ihm immer wieder auf, vor seinem Dienstzimmer, an seinem Auto. Danach spricht er ein totales Kontaktverbot aus, um sie und sich zu schützen. Warum sich Melanie ausgerechnet in einen so deutlich älteren Mann verliebt, wird leider nicht schlüssig erklärt. Die Annahme, dass weit und breit kein halbwegs ansehnlicher jüngerer Mann zur Stelle ist, greift sicher zu kurz.

Der halbdokumentarische Film zeigt mehr vom Innenleben im Diätcamp: karge Mahlzeiten, sterile Flure, medizinische Untersuchungen und strenger Sportunterricht. Je mehr die Mädchen innerlich durcheinander sind, umso aufgeräumter muss es um sie herum aussehen. Es wird deutlich, dass die jungen Mädchen den hoffnungslos überhöhten Anforderungen - hübsch, schlank, gefügig - seitens der Gesellschaft gar nicht gewachsen sein können.

Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl (63) ist bekannt dafür, dass er keine Filme zum Zurücklehnen dreht, sondern lieber mit improvisierten Spielszenen, langen Einstellungen und harten Schnitten auf verstörende Einblicke in die Ränder unserer Gesellschaft setzt. Er zeigt die Abgründe von Kleinbürgern, mischt dabei Elemente von Dokumentation und Fiktion und arbeitet gern auch mit Laien zusammen. So ist es auch in diesem Film, der den Abschluss seiner Paradies-Filmtrilogie bildet, zu der seine Filme Glaube (über die Glaubenssuche) und Liebe (über Sextourismus in Afrika) gehören, die beide kürzlich auf Arte gezeigt wurden.

Wer mehr über Seidl erfahren will, dem sei das Porträt Ulrich Seidl und die Bösen Buben (heute, 22.30 Uhr, Arte) empfohlen, in dem er sich als Unhold und Sozialpornograf zeigt, wie er sich selbst bezeichnet, aber eben auch als Humanist. Das zumindest macht Hoffnung.