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TV-Tipp Somewhere over the Rainbow

Es ist nicht nur der Glitzerlidschatten: Eine Dokumentation auf Arte vollzieht nach, warum Popmusik für die schwule Bewegung so wichtig ist. Dabei wird deutlich, dass der Siegeszug "schwuler Popmusik" auch seine Schattenseiten hat.

22.06.2017, 23:01
Der Queen-Frontmann Freddie Mercury versuchte zu vermeiden, sich offen zu seiner Sexualität zu bekennen. Foto (1979): Werner Baum Foto: Werner Baum
Der Queen-Frontmann Freddie Mercury versuchte zu vermeiden, sich offen zu seiner Sexualität zu bekennen. Foto (1979): Werner Baum Foto: Werner Baum dpa

München (dpa) - Es sind verstörende Bilder: Tausende Disco-Schallplatten zerbersten in einem Sportstadion in Chicago in kleine Stücke.

Es ist das Jahr 1979 und ein Veranstalter hatte in der "Disco Demolition Night" Besucher eines Baseball-Spiels dazu aufgerufen, Schallplatten mit Disco-Musik mitzubringen - mit dem Ziel, sie zu sprengen. Zehntausende waren seinem Ruf gefolgt.

"Nach allem was man hört, hat das Mainstream-Radio in den USA am nächsten Tag keine Disco-Musik mehr gespielt", sagt der Schriftsteller und Musiker Thomas Meinecke in der Dokumentation "Somewhere over the Rainbow - Die schwule Bewegung und ihre Hymnen". Sie ist an diesem Freitag (21.40 Uhr) auf Arte zu sehen.

In den Siebzigern wurde Disco zum Mainstream und damit auch Homo- und Transsexualität salonfähiger - denn vor allem diese Szene feierte in den Clubs zur neuen elektronischen Tanzmusik. Das Beispiel von Chicago zeigt, dass das nicht allen gefiel.

Die Ablehnung von Disco-Musik war eng mit Homophobie verbunden. Eine Form der Diskriminierung, die die Popmusik in den vergangenen 60 Jahren immer wieder bekämpft hat. In vielen historischen Aufnahmen vollzieht die Doku nach, wie Musiker seit den 50er Jahren Geschlechter- und Sexualitätsgrenzen aufgebrochen haben.

Künstler wie David Bowie, Freddie Mercury oder Lady Gaga verkleideten sich bei ihren Auftritten als anderes Geschlecht. In ihren Songs riefen sie dazu auf, sich frei zu machen von traditionellen Geschlechterrollen.

Die Popmusik schuf Identifikationsfiguren, die es im Umfeld vieler junger Leute zuvor nicht gab. Gleichzeitig konnte die Akzeptanz für Homosexualität in der Gesellschaft wachsen, wenn etwa Bowie 1972 in der berühmten Show "Top Of The Pops" geschminkt und in einem hautengen Glitzer-Overall auftrat.

Durch Bands wie die Village People, Frankie Goes To Hollywood oder Pet Shop Boys wurde die Tanzfläche zum Ort, an dem man sich frei ausdrücken konnte. Doch allgemein akzeptiert war Homo- oder Transsexualität deswegen nicht. Freddie Mercury, Rex Gildo oder George Michael versuchten zu vermeiden, sich offen zu ihrer Sexualität zu bekennen.

Viele "schwule Hymnen" wurden aber auch von heterosexuellen Frauen gesungen: Von "Somewhere over the Rainbow" (Judy Garland) über "Er gehört zu mir" von Marianne Rosenberg bis zu "Strong enough" von Cher. Glamour und Texte über begehrenswerte Männer spielen dabei ebenso eine Rolle wie Solidarität. Frauen und Schwule teilen sich nach der Auffassung von Inga Humpe der Band 2raumwohnung einen Status als Minderheit in der Gesellschaft: "Und darum schließt man sich zusammen."

Musikerinnen fühlten sich der schwulen Gemeinde auch deswegen verbunden, weil sie sich damit eine kaufkräftige Zielgruppe erschließen konnten. Pop - das ist nie nur Musik, sondern auch Business, Maskerade und Politik.

Die Dokumentation von Birgit Herdlitschke vollzieht auf unterhaltsame Weise nach, was für eine ermächtigende Wirkung Pop haben kann. Nach wie vor sind "schwule Hymnen" unglaublich wichtig: für alle, die wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Zugehörigkeit diskriminiert werden. Und für alle anderen, die einfach gerne zu verdammt schmissiger Musik tanzen.