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TV-Tipp Tokio ersteht aus der Asche

Millionenstädte haben ihre Licht- und Schattenseiten wie andere Städte auch. Die größte von ihnen ist die japanische Hauptstadt Tokio, und eine TV-Doku widmet sich nun ihrer Geschichte.

19.05.2017, 23:01
Die Skyline von Tokio (Japan) mit dem Fernsehturm "Tokyo Tower" (l), aufgenommen 2010. Foto: Michael Hanschke
Die Skyline von Tokio (Japan) mit dem Fernsehturm "Tokyo Tower" (l), aufgenommen 2010. Foto: Michael Hanschke dpa

Berlin (dpa) - Tokio (auf deutsch: "östliche Hauptstadt") ist die größte Stadt der Welt - nimmt man sämtliche Randbezirke mit dazu, so kommt sie auf deutlich mehr als 30 Millionen Einwohner. Als ob das nicht längst genug wäre, wächst sie sogar noch weiter.

Vor 150 Jahren trug sie den Namen Edo, und die heutige japanische Hauptstadt war damals eine Stadt aus einfachen Holzbauten mit lediglich einer Million Einwohnern. Viel übrig geblieben ist aus jener Zeit nicht, und so musste sich die Stadt quasi neu erfinden. Dazu passt der Titel der Dokumentation "Tokio ersteht aus der Asche", die an diesem Samstag (20.15 Uhr) auf Arte zu sehen ist.

Filmautor Julien Olivier zeigt ein faszinierendes Porträt einer Metropole, die als Stadt der Zukunft gilt und doch von einer wechselvollen Geschichte zehrt. Außergewöhnliche Bilddokumente, die sowohl von Amateuren als auch von professionellen Fotografen und Kameramännern aufgenommen worden sind, wurden eigens für diesen Dokumentarfilm restauriert und koloriert. Jene verschollenen oder vergessenen Bilder rekonstruieren das wechselvolle Schicksal der Stadt und ihrer Bewohner von 1868 bis heute. In jenem Jahr verlegte der Kaiser seine Residenz von Kyoto nach Edo, und die bewegten Bilder (gefilmte Szenen der Gebrüder Lumière) zeigen eindrucksvoll promenierende Menschen unter blühenden Kirschbäumen und "rasende" Rikschas sowie Straßenbahnen, die von Pferden gezogen wurden.

Nach und nach entsteht ein faszinierendes und eindrucksvolles Kaleidoskop, das ebenso sachkundig wie liebevoll zusammengesetzt wurde. Es macht wirklich richtigen Spaß, den einzigartigen Filmdokumenten zu folgen, die behutsam und informativ von interessanten Texten (deutsche Sprecherin: Ulrike Johansson) begleitet werden. Aufnahmen aus den 1920er Jahren belegen, wie westliche Einflüsse zunehmend den Alltag der Tokioter bestimmen. Das gesamte Schulsystem wird reorganisiert, Händler werben in englischer Sprache um ihre Kunden, und die angesagte Sportart ist Golf. Auf Luftaufnahmen von 1923 ist die Modernisierung der Stadt deutlich zu erkennen, ehe sie durch ein furchtbares Erdbeben im selben Jahr zunichte gemacht wurde. Hiervon künden packende Aufnahmen einer Feuersbrunst, die eine Schneise durch Tokio zog.

Im letzten Jahrhundert wurde Tokio noch einmal zerstört, während des Zweiten Weltkriegs (im März 1945) durch US-Bomben. Innerhalb weniger Stunden wurden Hunderte Tonnen von Brandbomben auf das Stadtgebiet abgeworfen. Mehr als die Hälfte des historischen Teils wurde vernichtet, und mehr als 100 000 Menschen sind dabei getötet worden. Ein weiteres Mal musste die Stadt von Grund auf neu aufgebaut werden. 1946 verkündete Kaiser Hirohito die neue japanische Verfassung - auch er ist im Bild festgehalten.

So bekommt der Zuschauer einen umfassenden Einblick in das Leben einer Stadt, deren zumeist erstaunlich gelassenen Bewohner niemals geklagt haben und die von einem schier unbändigen Überlebenswillen geprägt sind. Er half ihnen dabei, ihre Stadt immer wieder neu aufzubauen und auch der jüngsten Katastrophe von Fukushima (März 2011) zu trotzen. Die Furcht vor einem neuen schweren Erdbeben und eine Skepsis gegenüber dem ständigen Drang zur Moderne sitzen tief in der Bevölkerung, die dennoch ihre Lebensfreude nicht verloren hat und sich zunehmend auf ihre alten Werte besinnt: ein Leben in Harmonie und sauberer Umwelt. Auch davon berichtet dieser gelungene Film, der auf Zeugenaussagen oder Kommentare verzichtet und ganz allein auf die Kraft der laufenden Bilder setzt, die nun nicht mehr vergessen in irgendwelchen Kisten schlummern.

Tokio ersteht aus der Asche