Unsichtbare Jahre

Sie führt ein Doppelleben, spioniert heimlich für den verfeindeten Staat. Der ARD-Film Unsichtbare Jahre erzählt die Geschichte einer DDR-Agentin im Westen. Herausgekommen ist ein Drama über eine chaotische Gefühlswelt, weniger über Spionage.

Von Maren Hennemuth 24.11.2015, 23:01

Berlin (dpa) - Frankfurt, 1974. Die Ponys sind lang, die Schlaghosen weit. Das Foyer der Universität ist mit Flugblättern tapeziert, die Hochschule gilt als Hochburg der linken Szene. Die junge Bea Kanter (Julia Koschitz) zieht es nach dem Tod der Mutter hinein in diese Welt, weg aus der spießigen Kleinbürgerlichkeit ihres Vaters, der für die CDU im Stadtrat sitzt.

Sie interessiert sich mehr für marxistische Hochschulgruppen. Und wird irgendwann Agentin für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Der Film Unsichtbare Jahre erzählt die schrittweise Abkehr der Hauptdarstellerin von allem, was ihr Vater ablehnt, hin zum Landesverrat. Die ARD strahlt das Drama am Mittwoch anlässlich eines Themenabends (20.15 Uhr) aus.

Über den Marxistischen Studentenbund Spartakus kommt Kanter in ein Jugendlager der FDJ. Dort gerät sie ins Visier der Stasi. Als politisch interessiert, kulturell ansprechbar und an Männern nur mäßig interessiert, beschreibt ein Stasi-Beamter sie im nüchternen Ton. Ihr imponiere viel mehr die Ideologie.

Es kommt zum Kontakt. Sie könne bei der Weiterentwicklung der DDR helfen, sagt der Stasi-Anwerber. Nach einem Besuch in Ost-Berlin ist Kanter Perspektivagentin. Was folgt, ist ein Doppelleben. Auf Anraten ihrer Kontaktleute studiert sie in Köln, weil das politisch nicht so auffällig ist wie Frankfurt. Sie schafft den Sprung ins Auswärtige Amt, wird später an die deutsche Botschaft in Lissabon geschickt. Während all dieser Zeit versorgt sie das Ministerium mit Informationen. Ihr Umfeld bekommt nichts mit.

Wie viele Menschen in Westdeutschland für die Stasi spionierten, darüber schwanken die Angaben von Historikern. Die Stasi-Unterlagen-Behörde spricht von rund 3000 Bundesbürgern, die zuletzt für das MfS im Westen tätig waren. Der spektakulärste Fall war wohl der von Kanzleramtsspion Günter Guillaume in der Regierungszeit des Kanzlers Willy Brandt. Zu den Zielen in Bonn zählten nicht nur Bundesregierung, Kanzleramt und Bundespräsidialamt, sondern auch sämtliche Bundesministerien.

Über das, was Kanter dem verfeindeten Staat liefert, erfährt man im Film wenig. Vertrauliche Informationen? Womöglich, aber die Gespräche mit ihren Kontaktpersonen der Stasi drehen sich meist um ihre persönliche Lage, um die Probleme in der Familie und die Schwierigkeiten mit Männern. Ab und an fotografiert sie Akten ab, der Inhalt bleibt unbekannt.

Und auch was ihre Anliegen, ihre Anschauungen, ihre politische Haltung angeht, bleibt der Film vage. Sie brauche die Ideologie, um die Leere zu füllen, sagt sie an einer Stelle. Weil sie nicht wisse, ob sie sich in einen Mann verlieben könne.

Dieser Zustand der inneren Zerrissenheit zieht sich wie ein roter Faden durch den Film. Das ewige Zweifeln nimmt man der Protagonistin ab - dank der Darstellung von Koschitz. Sie verkörpert die junge Agentin glaubhaft, die anfangs noch scheu und schüchtern im Umgang mit den Stasi-Vertretern ist, später aber bestimmend mehr Geld für ihre Spitzeleien einfordert und immer ziemlich aufgewühlt wirkt.

In weiten Teilen gerät die Handlung aber etwas verkitscht, etwa wenn Kanter auf dem Weg zu ihrem Job an der deutschen Botschaft in Portugal einen Brief zerreißt und aus dem Zugfenster streut. Er sollte ihre Agententätigkeit beenden, aber sie zögert.

Das Jahr 1989 bricht an. Was ist, wenn alles auseinanderbricht?, fragt Kanter ihren Kontaktmann bei der Stasi. Dann bist Du auf Dich allein gestellt, sagt der. Kanter ahnt wohl, dass das Ende ihres Doppellebens ist. Am Ende ist sie wieder dort, wo alles seinen Anfang nahm. Endet der Verrat?

Informationen über den Film

Stasi-Unterlagenbehörde über Westagenten