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Zeitdokument "Ein deutsches Leben": Ahnungslos in Nazi-Deutschland

Konnte man im Nationalsozialismus den Terror wirklich ausblenden? Ein Film über die Sekretärin von NS-Propagandaminister Joseph Goebbels sucht nach Antworten.

Von Cordula Dieckmann, dpa 03.04.2017, 09:36

München (dpa) - Aus heutiger Sicht macht das Leben von Brunhilde Pomsel fassungslos. Wie konnte man während des Nationalsozialismus im Propagandaministerium arbeiten und angeblich nichts mitbekommen von dem grausamen Terror, den Adolf Hitler, Heinrich Himmler und Konsorten verbreiteten?

Brunhilde Pomsel gab sich ahnungslos. "Wir haben nichts gewusst" - ein Satz, den die alte Dame wie viele andere ihrer Generation immer wieder beschwor. War das wirklich möglich? Der Film "Ein deutsches Leben" geht dieser Frage nach. Zwei Stunden lang erzählt die Sekretärin vom NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, von ihren Erinnerungen im trüben Grenzbereich zwischen Verdrängung, Lüge und fatalem politischen Desinteresse.

Für den Wiener Produzenten Christian Krönes ist "Ein deutsches Leben" ein historisches Zeitdokument, gerade noch rechtzeitig gedreht, um nachfolgenden Generationen Einblicke in die Gedankenwelt der damaligen Zeit zu geben. Ende Januar ist Pomsel mit 106 Jahren in München gestorben. Während des Drehs war sie bereits 103 Jahre alt.

Eine zerbrechlich wirkende Dame, in deren freundlichem Gesicht das Leben tiefe Spuren hinterlassen hat. Und die hellwach ist. Eine Frau mit einem messerscharfen Verstand, einem umwerfenden Gedächtnis und der Gabe, ihre Gedanken und Erinnerungen in klare Worte zu fassen. Kaum zu glauben, dass so jemand so wenig mitbekommen haben will.

Andersdenkende, Juden und andere Minderheiten wurden öffentlich gedemütigt und verschwanden, darunter Pomsels Freundin Eva Löwenthal. Die Pogromnacht von 1938, die alltäglichen Grausamkeiten und vor allem die Propaganda, mit der die Nazis die arische Herrenrasse beschworen und Menschen als minderwertig brandmarkten. Doch Pomsel bleibt bei ihrer Aussage: "Das schwöre ich Ihnen, wir haben nichts davon gewusst", bekräftigte sie im vergangenen Sommer im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. Warum auch? Schließlich bot das Leben so viel Schönes. Einen angenehmen Job, nette Kollegen und genug Geld für Extravaganzen.

Der Grund für die Ahnungslosigkeit könnte in ihrer Kindheit liegen, vermutete sie. "Gehorchen und ein bisschen schwindeln dabei oder lügen und die Schuld auf jemand anders schieben", so sei sie als Mädchen in Berlin erzogen worden, sagt sie im Film. "Preußisches Pflichtbewusstsein, ein bisschen auch dieses Sich-Unterordnen." Bloß nicht zu viele Fragen stellen, stattdessen verlässlich seine Arbeit tun. "Wenn ich an einem Platz stand, dann hatte ich ihn auszufüllen." Politik? "Bin ja auch 'ne Frau, muss ja nicht."

Der Film ist erschreckend und aufschlussreich, zeigt er doch, wie leicht es ist, die Augen zu verschließen und sich seine eigene Wahrheit zurechtzulegen. "Ein deutsches Leben" ist sehr intensiv. Schwarz-weiß vor einem tiefschwarzen Hintergrund erzählt Pomsel. Eingestreute kurze Filmsequenzen von damals sowie Tonaufnahmen auch von Goebbels untermalen das Entsetzliche, von dem die Protagonistin so wenig gemerkt haben will.

Dass die Nazis furchterregend waren, musste aber auch Pomsel gedämmert haben, spätestens als sie Goebbels 1943 in Berlin bei seiner Rede im Sportpalast erlebte, wo er die Masse der Zuhörer aufpeitschte mit der Frage "Wollt ihr den totalen Krieg?". Im Saal rasten hysterische Menschen, die nach Einschätzung seiner Sekretärin "behext" waren von diesem "tobenden Zwerg". "Es war ein Naturereignis, die ganze Menge konnte nichts dafür und er selber wahrscheinlich auch nicht."

Da ist wieder dieses Gefühl, das eine ganze Generation prägte. Das Gefühl, unschuldig verführt worden zu sein. Als Pomsel nach den Nürnberger Prozessen fünf Jahre lang in russische Gefangenschaft kam, empfand sie dies als zutiefst ungerecht, "weil ich ja nichts getan hatte, als bei Herrn Goebbels getippt" zu haben.

Als die Schrecken des Holocaust dann aufgearbeitet wurden, konnte allerdings auch Pomsel nicht mehr die Augen verschließen. "Wenn man durch so eine Zeit gegangen ist, (...) und letzten Endes doch nur an sich gedacht hat, da habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen."

Ein deutsches Leben, Österreich 2016, 113 Min., FSK ab 12, von Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer, Florian Weigensamer, mit Brunhilde Pomsel

Ein deutsches Leben