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Literaturwochen Das Wunder von Dieulefit

Die Magdeburger Literaturwochen sind mit einer Ausstellung im Literaturhaus eröffnet worden.

Von Grit Warnat 03.09.2015, 01:01

Magdeburg l Dieulefit in Südfrankreich ist eine kleine Stadt im kleinen gleichnamigen Landkreis. In den 1930er Jahren lebten in der Stadt weniger als 3000 Einwohner. Das Besondere: Die Bewohner halfen im Zweiten Weltkrieg Menschen in großer Not. Hunderte wurden aufgenommen, versteckt, ernährt, geschützt. Sie alle haben das Vichy-Regime und die Nazi-Zeit überlebt. Eine Ausstellung, die am Mittwoch im Literaturhaus Magdeburg eröffnet wurde, erzählt von dieser Hilfe und Humanität. Kuratorin Anna Tüne: „Die geschlossene Solidarität war sehr ungewöhnlich.“

In Dieulefit gab es keine Résistance. Dort wurde nicht mit Waffen gekämpft. Die Hilfe lief still. Es formierte sich ein zivilgesellschaftlicher Widerstand. Man half den Schutzsuchenden.

Erst waren es Jungen und Mädchen aus Spanien, die vor dem dortigen Bürgerkrieg flüchten mussten, dann Kinder von Juden, Emigranten und Widerstandskämpfern. Sie kamen aus Frankreich, Polen, Spanien und Deutschland. Auch Erwachsene suchten und fanden Schutz. „Die Hilfe war eine Selbstverständlichkeit. Ebenso selbstverständlich war es, dass keiner verraten wurde“, sagt Anna Tüne.

Sie zitiert die alten Bewohner des Ortes, die ihr antworten, dass doch nichts passiert sei. „Aber genau das ist das Besondere“, so die Berliner Schriftstellerin, Kulturarbeiterin, Vorsitzende des Vereins Courage gegen Fremdenhass, der das Projekt „Rettungswiderstand in Dieulefit“ mit der Ausstellung verantwortet. Entstanden 2013 zum 50. Jahrestag des unterzeichneten Elysée-Vertrages, ist die Ausstellung bereits in 20 Städten gezeigt worden. Bis zum 14. Oktober macht sie Station im Literaturhaus.

Die Ausstellung erzählt mit Texten und Bildern von Okkupation und Kollaboration, vom Ort Dieulefit, seiner Schule und der Reformpädagogik, von den Flüchtlingen, die eine Zuflucht suchten, und den Einwohnern, die diese Zuflucht gaben. Für Anna Tüne, die sich viele Jahre mit dem „Wunder von Dieulefit“ beschäftigt hat, ist dieser Zusammenhalt sowohl im privaten als auch im administrativen Bereich immer wieder erstaunlich. „Wenn eine Razzia anstand, kam aus Polizeikreisen der Hinweis: Geht Pilze suchen.“

Stille Helden sind die Bewohner gewesen. Tüne unterstreicht, dass man jedoch keine Heldenpose und mit dem positiven Beispiel auch nicht in Kitsch verfallen wolle. „Die leuchtenden Farben werden erst vor dem dunklen Hintergrund, den Schrecken der Zeit sichtbar.“

Dieulefit steht stellvertretend für die Ausstellungsreihe des Vereins. Die widmet sich der Präsentation von „Best Practice“, also Erfolgsmodellen in Geschichte und Gegenwart. Erarbeitet werden im Moment zwei weitere Ausstellungen, darunter „Jenseits von Lampedusa“ über einige kleine Orte in Kalabrien, die Flüchtlinge als Gäste willkommen heißen.

Das Literaturhaus Magdeburg ist montags bis freitags von 10 bis 12 und 14 bis 16 Uhr und zu den Veranstaltungen geöffnet.