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Sinfoniekonzert Geniewurf eines jung Gestorbenen

Große romantische Sinfonik von Robert Schumann und Hans Rott eröffnete die neue Konzertsaison der Magdeburgischen Philharmonie.

Von Ulrike Löhr 20.09.2015, 23:01

Magdeburg l Generalmusikdirektor Kimbo Ishii setzte zwei Sinfonien auf das Konzertprogramm. Die absolute Überraschung lieferte dabei die höchst selten zu hörende Sinfonie von Hans Rott.

Schumann und Rott hatten mehreres gemeinsam: Ihre gespaltene Innenwelt wurde beiden in jungen Jahren zum Verhängnis. Beide trugen jedoch zur Weiterentwicklung der sinfonischen Gattungsgeschichte Großes bei.

In seiner fünfsätzigen 3. Sinfonie Es-Dur, der „Rheinischen“, die Schumann drei Jahre nach seinem Verzweiflungssprung in den Rhein schrieb, ist von seiner Zerrissenheit vordergründig nichts zu spüren. Das Grüblerische und seine Unruhe sind gebändigt, es überwiegt die heroische, optimistische Seite, die die Philharmonie wunderbar stimmig artikulierte.

Der junge Wiener Komponist Hans Rott schuf als Zwanzigjähriger mit seiner einzigen Sinfonie zum ausgehenden 19. Jahrhundert einen spannenden Übergang von der Romantik zur Gegenwart in all seinem widersprüchlichen Überschwang zwischen Bruckner, Wagner und Mahler.

Bislang durfte man ruhig nachfragen: Hans … wer? Hans Rott war am Wiener Konservatorium Lieblingsschüler Anton Bruckners und Kommilitone von Gustav Mahler. Beide erkannten die Ausnahmebegabung. Doch 1884 starb Rott 26-jährig unter Wahnvorstellungen und ward vergessen. Erst in den 1990er Jahren wurde er wiederentdeckt. Immerhin machte Mahler ihn schon zum „Begründer der neuen Symphonie“.

Rotts 1. Sinfonie ist eine „Finalsinfonie par excellence“. Die Komplexität und zeitliche Ausdehnung nahm von Satz zu Satz zu. Doch was kompositorisch darinnen passiert ist, war beeindruckend. Nichts kam, wie man es (voraus-)ahnte. Überraschende Modulationen, unverhoffte Tonartrückungen, motivische Verwobenheiten. Das war extrem anstrengend für die Musiker. Wach und konzentriert folgten sie ihrem Dirigenten Kimbo Ishii, der es sehr gut verstand, durch Dynamik, Accelerandi wie Ritardandi charakterlich zu strukturieren.

So kam im ersten schlicht gehaltenen Satz die anklingende Wagner’sche Gralswelt emotional zutage. Der Adagio-Satz war der Satz der vielen Gestaltungen zwischen hymnischer Größe und kammermusikalischer Reduktion, aus dem extrem-Piano dann ein zarter Choral. Ishii machte vor dem Finalsatz eine deutliche Pause. Es verwob sich darin alles Gehörte, nur komplexer. Die sechs Hörner waren brillant, hielten tonlich und konditionell durch.

Das Blech überhaupt verstand es, viele Klangfarben zu zeigen. Die Holzbläser hatten ebenso ihre überaus fordernden Stellen, ob konzertante Soli oder extrem langanhaltende Akkorde. Die Streicher, insbesondere die Violinen und die Bratschen, boten wichtige bewegungsreiche Akkorde und große dramaturgische Spanungsbögen. Hans-Rott ist in Magdeburg angekommen.