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Standbild Ein Reiter aus 109 Teilen

Fünf lange Jahre haben Restauratoren den Magdeburger Reiter analysiert, dann restauriert. Jetzt liegen die Ergebnisse vor.

Von Grit Warnat 06.11.2015, 00:01

Magdeburg l Die Ergebnisse vorweg: Ja, der Magdeburger Reiter war im Mittelalter farbig. Grün, blau, rot. Nur millimetergroße Farbreste haben die Restauratoren um Ernst-Thomas Groll gefunden, jedoch nicht ausreichend genug, um, so die Anfangs-Hoffnung, eine farbliche Rekonstruktion zu ermöglichen. Auch wissenschaftlich belegen könne man mit den gefundenen, „allergeringsten“ Spuren nicht, ob sie die Ursprungsfassung seien. Groll spricht von Indizien, keinen Beweisen. Später könnte der Reiter viermal – mit jeweils zusätzlichen Grundierungen – vergoldet worden sein.

Und: Über die Hälfte des um 1240 entstandenen Standbildes besteht noch aus jenem originalen Stein, mit dem im 13. Jahrhundert die Skulpturenwerkstatt am Dom den Reiter und die Figurengruppe erschaffen hat. Es war jene Werkstatt, dessen Bildhauern und ihren Künsten wir auch zahlreiche Skulpturen am gotischen Magdeburger Dom zu verdanken haben. Der Heilige Mauritius, Katharina, die klugen und törichten Jungfrauen, das Herrscherpaar tragen ihre Handschrift.

Ihre Handschrift sind auch die einzelnen Teile, aus denen das Standbild zusammengesetzt worden war. Groll: „Die Werkstatt hat im 13. Jahrhundert so gearbeitet. Das gehört zu ihrem Erkennungsmerkmal.“ Alles sei sehr ordentlich gearbeitet gewesen, nicht sichtbar, sagt Groll. Nach zahlreichen Ausbesserungen bestehen allein Reiter und Pferd, so wurde in akribischer Kleinstarbeit dokumentiert, aus 109 Teilen, beide Begleitfiguren aus 172 Teilen.

Mit der konservatorischen Bestandsaufnahme weiß man nun, welcher Stein für jedes Teil verwendet wurde und woher er stammt und dass der obere Teil des Pferdes wie auch große Teile des Reiters noch aus Originalstein bestehen. Die Restaurierungsgeschichte kann jetzt gut nachvollzogen werden.

Mehrmals wurde das Standbild restauriert, unter anderem Ende des 19. Jahrhunderts vom Berliner Bildhauer Friedrich Wilhelm Holbein. Von ihm stammt auch das Postament, der Sockel von Reiter und Pferd. Vom Magdeburger Bildhauer Heinrich Apel beispielsweise stammt der Schwanz des Tieres.

2011 begann die konservatorische Bestandsaufnahme, ab 2013 bis gestern wurde restauriert. 100  000 Euro flossen in die Arbeiten, gefördert von Stiftungen, Unternehmen und Privatpersonen.

Dass sich zahlreiche Restauratoren, Kunst- und Rechtshistoriker zu einer heute beginnenden Tagung angemeldet haben, zu der die aktuellen Forschungsergebnisse ausgewertet werden, wundert nicht. Der Magdeburger Reiter ist nicht nur ein Spiegel der Geschichte der Stadt, sagt Museumschefin Gabriele Köster. „Er ist eine Skulptur von Weltrang.“ Der Reiter gilt als erstes freistehendes Reiterstandbild im Stadtraum seit der Spätantike. Er ist eine der bedeutendsten Skulpturen der mittelalterlichen Kunst- und Kulturgeschichte Europas.

Warum hat Magdeburg diesen Reiter? Mittelalter-Expertin Köster: „Die Römer hatten auf jedem Platz Statuen stehen. Im Mittelalter waren sie eher verpönt, Statuen wurden niedergerissen. Skulpturen waren dann immer an Gebäude gebunden wie der Bamberger Reiter, der nur zu zwei Dritteln plastisch ist. Hier hat man direkt an die römische Antike angeknüpft und mal wieder ein Reitermonument auf einen wichtigen Platz der Stadt gestellt. Das zeigt das intellektuelle Klima in Magdeburg in dieser Zeit.“

Der Magdeburger Reiter prägte seit jeher den Marktplatz der Stadt. Er hat deren Zerstörung unter Tilly 1631 überstanden, auch den Zweiten Weltkrieg, weil er vorsorglich entfernt wurde. An seiner Stelle gibt es seit 1966 einen vergoldeten 1:1-Bronzeabguss.

Die historisch wertvolle Bildhauerarbeit kam 1961 ins Foyer des Kulturhistorischen Museums und zog in den sanierten Kaiser-Otto-Saal um. Dort erstrahlen jetzt Reiter, Pferd und die beiden Begleitfiguren in frischem Glanz.