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Kabarett Neue Form ganz nebenbei

Die Hengstmann-Brüder des Magdeburger Kabaretts „nach Hengstmanns ...“ haben ihr neues Programm „Nebenbei“ präsentiert.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 06.11.2015, 23:01

Magdeburg l Aber so ganz nebenbei ist das Programm von Sebastian und Tobias Hengstmann dann wohl doch nicht entstanden, denn immerhin, so ist eingangs zu erfahren, waren für die 45 Seiten Textbuch diverse Nächte, 400 Liter Rotwein und etwa 200 Tassen Kaffee erforderlich. Kabarettisten wissen, dass Übertreibungen veranschaulichen, weshalb man dann die Getränkezahlen nicht allzu ernst nehmen sollte.

Ernst nehmen die Kabarett-Brüder allerdings die Themen ihres mittlerweile 13. Programms. Die Bananenrepublik Deutschland bietet leider mit rußenden Autos des Volkes, Fußball-Sommermärchen, die wirklich welche sind, gelben Engeln mit lockeren Schrauben und Geldhäusern, die das „non olet“ allzu wörtlich nehmen, unendlich viel Stoff. Da kommen die Künstler hier und da schon mal richtig in Rage, haben einen „soo dicken Hals“ oder müssen mit einer Plastetüte das Hyperventilieren in den Griff bekommen.

Natürlich werden auch die Flüchtlingsströme, ein unverkennbarer Rechtsruck in Europa, ob in Bayern oder Ungarn, alle möglichen „...gida-Bewegungen“ und alles, was in europäischen Nebenzimmern „so ganz nebenbei“ ausgeheckt wird, nicht verschont.

Die Bayern, die Saarländer und die Ossis scheinen dabei ganz besondere Spezies zu sein. Sowohl der Alpenstaat wie auch Ostdeutschland favorisierten eine Regionalpartei und seien eine Art Vielvölkerstaat, was man schon an den höchst unterschiedlichen Dialekten feststellen könne. Und die Saarländer wären ja auch erst später in die Bundesrepublik geholt worden, sozusagen als erstes neues Bundesland einer vorgezogenen Wiedervereinigung.

Als sich dann ein Zuschauer als Saarländer zu erkennen gibt, ertönt eine höfliche Entschuldigung, der postwendend die brüderliche Ermahnung folgt, dass man sich schließlich nicht bei jedem entschuldigen könne, der an diesem Abend noch beleidigt werden würde.

Und so „ganz nebenbei“: Ein Phänomen des modernen Kabaretts ist der Gebrauch von Fäkalinjurien, die öffentlich auszusprechen vor gar nicht allzu langer Zeit noch undenkbar gewesen wäre. Im Fernsehen gab es dafür einen Piepton.

Die Hengstmann-Brüder haben die Form ihres Programms unter der Regie von Vater Frank Hengstmann verändert, die Bissigkeit der Inhalte nicht. Statt einer szenischen Nummernfolge mit Requisiten, steht nun vor allem das gesprochene Wort, mal locker geplaudert, mal empört-aufgeregt, mal belehrend (etwas mehr Zutrauen an die Vorkenntnisse der Zuhörer empfohlen), im Mittelpunkt. Das ist ein Schritt in Richtung modernes Kabarett, erfordert aber auch ein Höchstmaß an geschliffenen Pointen und Textdramaturgie.

Sebastian und Tobias Hengstmann sind gestandene Künstler, die das können. Sie verändern damit sich und den Anspruch an ihre Zuschauer. Das wird vielleicht nicht überall und sofort ungeteilten Zuspruch finden, denn ein Stammpublikum hängt nun mal an gewohnten Kultfiguren. Aber Veränderung ist wichtig, wenn man nicht verkrusten will. So gesehen, kann man die Hengstmann-Brüder nur beglückwünschen, dieses Wagnis erfolgreich eingegangen zu sein. Und außerdem waren die Kultfiguren auch nicht völlig aus dem neuen Programm verbannt. Immerhin tauchen Malte und Matze zum Schluss doch noch auf.

Allein für den Mut, mal etwas anders zu machen, Neues zu wagen, kann man sich freudig in den Beifall des Publikums nach dieser Premiere einreihen.

Weitere Vorstellungen in der Spielstätte Breiter Weg 37: Sonnabend, 7. November, 15 und 19.30 Uhr sowie am 10., 11. und 21. November um 19.30 Uhr.