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Literatur „Hallo, Dichter, hier Bodo Ramelow“

Landolf Scherzer wirft mit seinem Buch „Der Rote“ einen Blick auf den ersten linken Ministerpräsidenten Deutschlands.

Von Grit Warnat 10.11.2015, 00:01

Magdeburg l Landolf Scherzer wohnt in einem Haus am Wald.Internet gibt’s dort nicht, das Wasser kommt über eine fast einen Kilometer lange Wasserleitung in sein ablegenes Zuhause. Es ist diese Leitung, die irgendwo ein Leck hatte, das er finden musste. Scherzer war mit Schaufel und Bagger und Kumpel Frieder am Schachten, als ihn ein Anruf ereilte. Bodo Ramelow ist neuer Ministerpräsident Thüringens, erfuhr er. Es war der 5. Dezember 2014. „Der Tag, als der Rote kam“ betitelt Landolf Scherzer später das erste Kapitel seines Buches über Bodo Ramelow.

Scherzer hat kein Politikerporträt geschrieben, sondern die Thüringer, das Umfeld des Neuen an der Regierungsspitze sehr genau beobachtet, befragt. Selbst nennt er sein Buch im Gespräch mit der Volksstimme eine Bestandsaufnahme und im Hinblick auf die Vorgänger „Der Erste“, „Der Zweite“ und „Der Letzte“ einen Zyklus über einen Teil der Geschichte Thüringens. Bei seiner Lesung im Literaturhaus Magdeburg stellt der Autor am Freitagabend klar: „Ich kommentiere die Politik in Thüringen nicht.“

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hatte bei ihm angefragt, etwas über die Anfangsphase nach dem historischen Moment zu schreiben. Scherzer hatte abgesagt. Später dann, in wodkatrunkener Freund-Runde war die Buch-Idee gereift. Sie umzusetzen, sei dann nicht leicht gewesen. „Es war ein bisschen schwer, an den Ministerpräsidenten ranzukommen.“

Wie ihm das gelang, wie er die linke Landtagsabgeordnete Ina Leukefeld gebeten hatte, doch ein Wort bei Ramelow für ihn einzulegen, erfährt der Leser in einer der Episoden. Auch, dass Ramelow anklingelte: „Hallo, Dichter, hier ist Bodo Ramelow.“ Scherzer wusste nicht, ob er ihn nun mit „Genosse“ anreden soll – wie früher.

Der Politiker und der Schriftsteller kennen sich zwei Jahrzehnte, vom gemeinsamen Hungerstreik der Kali-Kumpel in Bischofferode, die sich gegen die Schließung der Grube zur Wehr setzten. Scherzer kennt auch den Politikbetrieb. Als sein neues Projekt startete, sagte der Landtags-Pförtner: Der Herr Scherzer ist wieder da.

Vieles aber sei anders geworden. Das wichtigste Wort für Politiker sei Zeitfenster, sagt Scherzer. „Und Bodo Ramelow hatte nicht sehr große Zeitfenster für mich.“ Seine erste Begegnung mit dem Ministerpräsidenten war dessen Besuch bei Bedürftigen in einer Erfurter Suppenküche. Gesprochen haben beide miteinander nicht, letztlich gab es ein Foto mit Scherzer in einigen Thüringer Zeitungen, die Essschüssel vor sich, den Kopf gesenkt, die Hände von Ramelow auf der Schulter. Scherzer erzählt: „Freunde haben besorgt bei meiner Frau angerufen und gefragt, was bei uns passiert ist.“

Solche Zusammentreffen hatte sich der Dichter etwas anders vorgestellt.

100 Tage wollte er, möglichst oft, möglichst viel Zeit. Scherzer sagt, das sei falsch gedacht gewesen. Seine Erfahrungen mit Hans-Dieter Fritschler, dem einstigen 1. Sekretär der SED-Kreisleitung, für sein Buch „Der Erste“ ließen sich keineswegs übertragen. Damals war Scherzer nah dran, diesmal musste er eine andere Herangehensweise suchen. Er lässt Menschen aus dem Umfeld des Ministerpräsidenten erzählen. Kabinettsmitglieder, Opposition, Kraftfahrer, Personenschützer, der Friseur, Vorzimmerdamen. Und andere wie die Thüringer Hochseefischer, die sich regelmäßig zum Stammtisch treffen, fragt er, was sie über die neue Regierung denken. Scherzer hatte einst über sie und ihre Arbeit auf einem Fang- und Verarbeitungsschiff der Hochseefischereiflotte geschrieben („Fänger und Gefangene“).

Zitate von Ministern und Abgeordneten. Inwieweit hat er beim Schreiben über den Roten eine Autorisierungsschere im Kopf gehabt? Eigentlich nicht, sagt Scherzer, und spricht von Änderungen, die sich in Grenzen gehalten haben.

„Der Dichter“ war nie beim Ehepaar Ramelow zu Hause. Er bedauert das rare Sehen und Reden. Herausgefunden hat er trotzdem eine Menge abseits der Biografie und sogar das Geheimnis um die Schaufensterpuppe in Ramelows Schlafzimmer gelüftet.