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Neu im Kino Sensibler Witz und originelle Ideen

„Ich und Earl und das Mädchen“ handelt von einer Teenagerliebe, von Krebs und vom Erwachsenwerden. Das gab es schon, aber noch nie so.

Von Barbara Munker 17.11.2015, 23:01

Los Angeles (dpa) l Komischer Titel: „Me and Earl and the dying Girl“, das klingt nach tränenreicher Schnulze oder anstrengendem Drama. Diesen Anschein wollte man den deutschen Kinogängern wohl ersparen. Hier heißt der Independent-Film einfach nur „Ich und Earl und das Mädchen“. Dass ein Mädchen am Ende stirbt, ahnt man schnell. Es fließen auch Tränen, doch die Geschichte um einen filmbesessenen High-School-Schüler (Thomas Mann), der sich mit einer krebskranken Klassenkameradin (Olivia Cooke) anfreundet, ist weder schnulzig noch düster. Sensibler Witz, originelle Ideen und einnehmende Figuren machen „Ich und Earl und das Mädchen“ zu einem der besten Filme des Jahres.

„Ich“ ist der 17-jährige Greg, der sein letztes Jahr an der Schule ohne großes Aufsehen hinter sich bringen will. Er beschreibt sich selbst als unglaublich linkisch, mit einem Gesicht „wie ein Murmeltier“. Um coole Mädchen macht er einen Bogen, mit trockenem Humor und witzigen Sprüchen mogelt er sich irgendwie durch.

„Earl“ ist sein bester Freund, doch Greg stellt den Mitschüler, gespielt von der Neuentdeckung R. J. Cyler, lieber als seinen „Geschäftspartner“ vor. Als leidenschaftliche Film-Fans drehen sie zusammen Kurzfilmparodien von Klassikern wie Stanley Kubricks „Uhrwerk Orange“, Alfred Hitchcocks „Das Fenster zum Hof“ und Werner Herzogs „Mein liebster Feind“. Sie verhunzen die Titel und blödeln mit Tricks und Kostümen gekonnt herum.

„Das Mädchen“ ist eine Klassenkameradin, die Greg nicht weiter interessiert. Als Rachel an Leukämie erkrankt, besteht Gregs Mutter darauf, dass er sich mit ihr trifft. Das ist der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft, die Greg anfangs nur zögerlich, dem Zuschauer aber sofort zu Herzen geht.

Um Teenagerliebe und Leben und Tod ging es schon in den leicht schnulzigen Jugenddramen „Wenn ich bleibe“ mit Chloë Grace Moretz und „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ mit Shailene Woodley. „Ich und Earl und das Mädchen“ hält von den üblichen Klischees Abstand. Die Gratwanderung zwischen Komödie und Drama, Lachen und Weinen, einfühlsamem Tiefgang und schrägen Momenten gelingt perfekt.

Dabei sind die Macher weitgehend Neulinge: Die Geschichte basiert auf dem Erstlingsroman und dem ersten Drehbuch von Jesse Andrews. Es ist erst die zweite Spielfilmregie (nach dem Horrorthriller „Warte, bis es dunkel wird“) des Texaners Alfonso Gomez-Rejon. Er lernte sein Handwerk als Assistent bei Filmen wie „Argo“ und „Babel“ und als Regisseur bei den TV-Serien „Glee“ und „American Horror Story“. Für den 20-jährigen R. J. Cyler (Earl) ist es der erste Auftritt in einem Spielfilm überhaupt. Die 21 Jahre alte Britin Olivia Cooke (Rachel) hatte 2014 in dem Horror-Film „Ouija – Spiel nicht mit dem Teufel“ ihre erste größere Rolle. Greg-Darsteller Thomas Mann (24) kann schon „Hänsel und Gretel: Hexenjäger“, „Project X“ und „Beautiful Creatures – Eine unsterbliche Liebe“ vorweisen.

Nach dem Überraschungserfolg des Kritikerlieblings „Me and Earl and the dying Girl“ sind die Nachwuchstalente plötzlich zu Recht gefragt. Der Film wird als Oscar-Kandidat gehandelt. Beim Sundance-Festival für Independent-Filme holte das Teenagerdrama beide Hauptpreise, der Jury und des Publikums. Das ist seit dem Festivalstart 1989 zuvor erst fünf Filmen gelungen. Zuletzt dem Musikdrama „Whiplash“, das in diesem Jahr für fünf Oscars nominiert wurde, darunter als bester Film. Das Werk gewann drei Trophäen, für Schnitt, Ton und für J. K. Simmons als bester Nebendarsteller. Auch „Ich und Earl und das Mädchen“ ist Gold wert.