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Literaturhaus Das Leben mit einem Schatz

Gisela Zander prägte die Entwicklung des Literaturhauses Magdeburg mit. Am Mittwoch wird sie in den Ruhestand verabschiedet.

Von Grit Warnat 02.12.2015, 00:01

Magdeburg l Gisela Zander hat in all den Jahren viele Schriftsteller im Literaturhaus begrüßt. Erich Loest, Reiner Kunze, Adolf Muschg, Christoph Hein, Juli Zeh, Volker Braun. Viele interessante Autoren lasen in Magdeburg. Christa Wolf hätte sie sich vor deren Tod 2011 noch sehnlich gewünscht. „Zu uns kam sie leider nie.“

Nach ihrem interessantesten Gast befragt, überlegt Gisela Zander kurz, dann sagt sie: Ruth Radvanyi. Geladen war nach der Wende die Tochter von Anna Seghers, als deren Verleger Walter Janka, ein Opfer der DDR-Justiz, seine Erinnerungen veröffentlichte und Anna Seghers vorwarf, sich nicht für ihn eingesetzt zu haben. „Sie hat uns sehr viel über das Verhältnis ihrer Mutter zur Macht erzählt. Das war ein hochemotionaler Abend.“

Von Anna Seghers, so sagt sie, wurde sie auf ihrem Lebensweg begleitet. Zander, noch junges Mädchen im thüringischen Pößneck, hielt in der Schule einen Vortrag über „Das siebte Kreuz“. „Ich war gepackt, ich erforschte ihr Schreiben.“ Später an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam, als sie Fachlehrerin für Deutsch und Geschichte wurde und schon eine Lehre zur Stenotypistin in der alles andere als literarisch-poetischen Maxhütte Unterwellenborn hinter sich hatte, hielt sie Seminare über Seghers. Zander promovierte in Potsdam.

1986, da lebte und arbeitete die Mutter zweier Söhne schon ein Jahrzehnt in Magdeburg, begann ihre Arbeit am Literaturhaus, das damals noch Gedenk- und Bildungsstätte „Erich Weinert“ hieß. Im gleichen Jahr wurde sie Leiterin und blieb es bis zum vergangenen Jahr. Zuletzt arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Die Thiemstraße 7 ist das Geburtshaus des Dichters Weinert, es war 1961 als Museum gegründet worden. Mit der Wende war das Haus wie der Stadtteil Buckau heruntergekommen. „Wir hatten einen Plan und ein Konzept“, sagt Gisela Zander und meint mit dem Wir auch ihre langjährige Mitstreiterin Ute Berger, die ihre Nachfolge bereits angetreten hat.

Zum damaligen Plan gehörte die Belebung des Hauses mit musikalisch-literarischen Veranstaltungen, mit neugestalteten Dauerausstellungen zu Erich Weinert (1890–1953) und Georg Kaiser (1878–1945), Kontakten zu Schriftstellern und den Pirckheimern, das Organisieren von Literaturwochen und Expositionen zur Magdeburger Literaturgeschichte. Berger und Zander gehörten zu den Gründungsmitgliedern der Literarischen Gesellschaft Magdeburg, die heute wie viele andere literarische Vereine, Gesellschaften und Schreibwerkstätten ihren Sitz in Weinerts Geburtshaus hat. Dieses facettenreiche Vereinsleben unter einem Dach nennt Gisela Zander mit Bick auf die Literaturhäuser in Deutschland eine Besonderheit.

Immer wieder gab es Veränderungen, neue Wege, erinnert sich die 64-Jährige und erzählt von der Gründung des Fördervereins vor 20 Jahren, dem Literaturhaus e.  V., der 2004 Trägerverein wurde und unter dessen Ägide das Gebäude saniert wurde, der finanziellen Unterstützung durch die Stadt. Nicht vergessen sind die aufregenden 90er Jahre, als das Haus auch auf der Kippe stand und Erich Loest sich geäußert hatte. Der Leipziger, einer der bedeutendsten ostdeutschen Schriftstellern, nannte das Literaturhaus einen Schatz. „Ja, das ist es“, sagt Zander.

Sie blicke gern zurück auf ihr Literaturhaus-Leben. „Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht.“

Jetzt, kurz vor ihrem 65. Geburtstag, endet der Berufsalltag. Mehr Zeit haben wird sie für die beiden Enkelkinder in Halle, die Erkundung der Kulturszene, literarische Reisen. Und dann gibt es da noch das Archiv.

In der obersten Etage schließt Gisela Zander eine Tür auf. Bücher stehen wohlgeordnet in Regalen, Schränke voll mit Aktenordnern: Nomi Rubel, Oskar Schönberg, Heinz Kruschel, Heinz Glade. Was da zwischen den Aktendeckeln abgeheftet ist, gehört zum Nachlass von Schriftstellern, die in der Region Magdeburg beheimatet waren.

Das Literaturhaus ist auch Sammler. Zander nennt es Erbepflege. Die archivalische Aufnahme von Heinz Kruschel hat sie gerade abgeschlossen, in seinen Briefen die Korrespondenz mit Brigitte Reimann gefunden. „Ich werde weiter im Archiv arbeiten. Es ist noch so viel zu tun“, sagt sie und streicht über den Nachlass von Christa Johannsen und Inge Meyer.