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Theater der Altmark Leben in einem goldenen Käfig

Regisseur Yaron Goldstein inszeniert am Theater der Altmark "Die Palästinenserin". Grit Warnat hat mit ihm gesprochen.

21.01.2016, 23:01

Volksstimme: Joshua Sobols Stück „Die Palästinenserin“ ist 30 Jahre alt. Es ist ein Appell an die israelische Gesellschaft, einen Kompromiss in der Palästinenserfrage zu finden. Sie haben das Stück für Stendal neu bearbeitet. Warum?

Yaron Goldstein: Das Stück ist immer noch aktuell, deshalb habe ich es dem Theater der Altmark vorgeschlagen. Es schien mir aber eine Bearbeitung nötig, weil sich in den letzten Jahren zwischen Israel und Palästina viel verändert hat. Inzwischen gab es Gespräche, Frieden, viele Anschläge. Das Schicksal der Völker findet keine Ruhe. Zum Beispiel gibt es heute Selbstmordattentäter, neue Formen des Terrors, die es damals noch nicht gab. Ich will zeigen, dass die Araber, die in Israel leben, einen goldenen Käfig um sich haben.

In Haifa im Norden Israels gibt es Araber, die in guten Verhältnissen leben, und auf der anderen Seite wohnen ihre Brüder, die auch Palästinenser, auch Araber sind, aber sie sind arm, sie sind Flüchtlinge. Auch für uns im Westen stellen sich alte Fragen neu, wie gehen Minderheiten mit dem Fremdgefühl im eigenen Land um, wie gehen wir mit Minderheiten, mit Geflüchteten um.

Was meinen Sie mit goldenem Käfig?

Samira, die Protagonistin im Stück, ist Palästinenserin und hat eine Beziehung zu einem jüdischen Nationalisten. Sie kann nicht aus ihrer Haut. Dabei sollte sie die andere Seite wählen, um mit ihrer Ideologie besser klarzukommen. Wissen Sie, im Dritten Reich waren Menschen gegen das System, aber sie konnten nichts ausrichten. Ich finde, wer in Nazideutschland lebte, war gewissermaßen auch in einem goldenen Käfig, Menschen haben darin gelebt und konnten ihre innerste politische Meinung aber nicht äußern. Meine Familie wurde während der Nazizeit in Berlin versteckt. Fast 3000 Menschen sind so gerettet worden. Aber nicht jeder ist zum Helden geboren. Nur wer diese Zeit erlebt hat, kann das verstehen.

Sie haben israelische Wurzeln. Sind die wichtig für die Inszenierung?

Ich kenne Haifa, das ein gutes Beispiel für das Zusammenleben zwischen Arabern und Juden ist. Man lebt dort miteinander. Ich kenne aber auch rechts- und linksradikale Strömungen. Ich glaube, es ist gut, wenn man die Zwischentöne hört und einordnen kann.

Intendant Alexander Netschajew hat Sie als „unseren Fachbeauftragten für Nahost-Themen“ bezeichnet.

(lacht) Ich habe vor drei Jahren am Haus „Mutters Courage“ inszeniert. Die Inszenierung kam damals sehr gut an. Das war eine angenehme Überraschung für mich, weil solche Stücke schon eine Herausforderung für ein kleines Haus wie das Stendaler Theater sind. Ich hoffe, dass auch „Die Palästinenserin“ als Ungerechtigkeitsgeschichte für das Publikum interessant wird.

Zur Uraufführung in Israel 1985 gab es Boykottaufrufe. Warum?

Joshua Sobol ist ein enfant terrible in Israel. Er legt den Finger mitten hinein in die Wunde. Er hat sehr hart das Zusammenleben von Arabern und Juden aufgegriffen. Dabei benutzt er aber keine aggressiven Mittel. Es geht ihm um Worte. Aber auch die wollen manche nicht hören.

Im Ursprungstext wechseln ständig die Identitäten. Setzen Sie auch auf eine gewisse Verwirrung?

Ich habe die Premieren in Israel und in Deutschland gesehen. Es war mein Hauptziel, die einzelnen Ebenen möglichst zu trennen, damit die Zuschauer verstehen, worum es geht. Wichtig ist das Bühnenbild. Die Verfilmung, die im Stück stattfindet, lege ich in drei Ebenen an. So werden die Zuschauer beispielsweise sehen, dass ein Film gedreht wird. Wir arbeiten mit einem Beamer und einem Stadtmodell, das sind meine Ebenen, mit denen ich spiele. Ich hoffe, es gelingt mir damit, die verschiedenen Facetten der Wahrheit zu zeigen.

Sie wurden in Israel geboren, leben seit 1984 in Stuttgart. Fühlen Sie sich als Deutscher?

Ja, ich bin auch Deutscher, aber ich sehe mich als Zaungast. Der bin ich in Deutschland und in Israel. Ich denke, ich habe in beiden Ländern einen gesunden Abstand zu dem, was passiert. Das will ich auch beibehalten. Auch in meinen Arbeiten an den Theatern.

 

Premiere am 30. Januar, 19.30 Uhr, Theater der Altmark. Weitere Aufführungen: am 21. Februar, 18 Uhr; am 23. Februar, 10 Uhr; am 18. März, 19.30 Uhr.