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Theater Groteskes aus der Arbeitswelt

Die Groteske „Hauptsache Arbeit!" von Sibylle Berg feierte am Schauspielhaus Magdeburg Premiere.

Von Claudia Klupsch 07.02.2016, 23:01

Magdeburg l Arbeit ist nicht nur das halbe Leben. Arbeit ist alles. Brüche in Form von Jobverlust darf es nicht geben. Arbeitslosigkeit und gar Abrutschen in Hartz IV sind hierzulande zu einer Urangst geworden. „Hauptsache Arbeit!“ ist keine Wunschäußerung, sondern Stoßgebet.

Alles könnte so schön sein. Die Firma hat für die Jahresabschlussfete einen Vergnügungsdampfer gechartert. Versprochen ist ein Buffet mit „biologischen Tieren“ und „vielleicht hat man noch Verkehr“. Doch der Boss verkündet Furchtbares: Zum Wohle der Bilanzen muss Personal „freigesetzt“ werden. Wer sich heute am besten „verkauft“, bleibt. Wer in diversen Spielen verliert, fliegt raus. Ein Kampf jeder gegen jeden entbrennt. Das Luxusschiff wird zum Todeskahn.

Dass es eine Versicherungsgesellschaft ist, deren klischeebehaftete Interna freigelegt werden, mag zunächst beruhigen. Regisseur Stephan Thiel hat eine Textvorlage umzusetzen, die beobachtend und wertend menschliche Entfremdung durch Arbeit klarmacht. Er hat weniger Dialoge als vielmehr selbstreflektierende Monologe und nicht zueinder passen wollende Einwürfe zur Verfügung, um mit seinen Schauspielern Charaktere herauszuarbeiten. Nicht von ungefähr sind die Angestellten namenlos. Der Mensch in der Arbeitswelt - namenlos, ersetzbar, egal.

Nähe zu den Figuren ist dann auch schwer zu entwickeln. Selbst wenn sie sich bei Preisgabe ihres Innersten erniedrigen, kommt kein Mitgefühl auf. Es herrscht Blutleere - trotz bzw. wegen schauspielerischen Könnens. Das der Frauen sticht hervor. Sonka Vogt zeigt das zarte Sensibelchen, das vom indischen Prinzen träumt und doch erbarmungslos im „Angsthasenspiel“ ihrem Kollegen tödliche Stromstöße verpasst. Sybille Weiser macht die vom Leben enttäuschte Frau glaubhaft, die jubelt, als sie siegreich Schläge austeilt.

Die männlichen Figuren sind von Selbstzweifeln zerfressen. Alexander von Säbel zeigt die Angst des Angestellten vor Verlust an Struktur. Er legt sich unzählige Schwimmwesten zum Schutz vor Mobbing an. Philipp Quest macht deutlich, was die Panik mit einem anstellt, nicht mehr fit und sportlich genug für den Job zu sein. Oliver Chomik verkörpert den um seine tödlich verunglückte Frau Trauernden auf der sinnlosen Suche nach Sinn.

Alle sind sie ausgeliefert. Konstantin Marsch spielt das miese Schwein vom Chef im blütenweißen Anzug, der seine Angestellten verachtet und Frauen hasst. Die bös verzerrte „König-der-Welt-Szene“ aus „Titanic“, die sich auf der von Ausstatterin Christiane Hercher realistischen Planken- und Reling-Bühne abspielt, zeigt all seine perverse Verrohung. Der abstoßenden Figuren nicht genug. Ratten! Marie Ulbricht und Timo Hastenpflug geben sie als widerliche in engen Leder-Anzügen gekleidete Gestalten. Sie schüren den Kampf und kommentieren die trostlose Lage der Angestellten („Ein Leben kann doch nicht in einem Großraumbüro stattfinden.“). Marie Ulbricht brilliert als „Motivationstrainer“, lässt aus den Augen Bösartigkeit und Menschenverachtung blitzen. „Das Tier ist in euch! Ihr werdet euch alle hassen!“, hetzt die Ratte die Menschen aufeinander.

Wie es sich für eine Groteske gehört, ist alles absurd übertrieben und zugespitzt. Thiel setzt dies auch szenisch wirkungsvoll um. Allerdings bleibt das Lachen nicht im Halse stecken, es kommt gar nicht erst auf. Wenn sich die Figuren gegenseitig mit Stromstößen malträtieren und sich zuckend im Schmerze wälzen, ist das nur verstörend.

Sind wir alle Zombies, Untote, als solche Thiel die Personen im linkischen Tanze erscheinen lässt? Wie viel Würde sind wir bereit zu opfern, wie viel Kollegialität zu vergessen, wenn es um unseren Job geht, abhängig, wie wir von ihm sind, sinn- und selbstwertstiftend? Obwohl der Text allerhand Plattitüden enthält, die Emotionalität und Tiefe blockieren, so regt er doch an, Lebensideale zu hinterfragen. Ist Arbeit wirklich alles? Sitzen wir das Leben ab im Warten auf die Rente?

Mag derjenige aufatmen, der feststellt, nicht in solchen Verhältnissen zu arbeiten wie auf der Bühne übertrieben angedeutet. Allen anderen sei geraten: Mut zur Veränderung!

Nächste Vorstellungen: 13. Februar, 17. März, 9. April und 30. April, alles 19.30 Uhr, Bühne Schauspielhaus.