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Uraufgeführt Familiendrama auf der Schriftrolle

Eine Auftragskomposition des Theaters Magdeburg erlebte ihre überaus bejubelte Uraufführung: Die Dreiecksgeschichte „Die Anderen“.

Von Irene Constantin 20.03.2016, 23:01

Magdeburg l Die Geschichte ist einfach: Abrahams Frau Sara bekommt keine Kinder. Ein Erbe für Besitz und Herrschaft muss aber unbedingt her. Hagar, die junge Magd, eine Fremde aus Ägypten, wird den Sohn für das ältliche Ehepaar austragen. Plötzlich entsteht Dramatik: Befreit vom Druck der Pflicht zur Schwangerschaft erwartet auch Sara ein Kind.

Die Ordnung ist wieder hergestellt. Saras Sohn Isaak wird der Stammvater der zwölf Stämme Israels werden, Hagars Sohn Ismael derjenige der arabischen Stämme. Aus dieser alttestamentarischen Konstellation entwickelte Christoph Hein, der das Libretto für „Die Andere“ schrieb, eine allgemeingültige Dreiecks- und Herrschaftsgeschichte.

Natürlich leidet Sara unter ihrer Kinderlosigkeit, natürlich sträubt sich Hagar, von dem ältlichen Abraham entjungfert und missbraucht zu werden. Sara macht ihr ein gutes Angebot: einen einheimischen Ehemann. Kaum ist Hagar schwanger, stehen die häuslichen Verhältnisse Kopf. Die Magd darf sich schonen, Sara muss ihr dienen. Erst als auch Sara schwanger ist, herrschen wieder die alten Verhältnisse.

Dass der Erbe für ein Herrscherhaus weit mehr als eine Familienangelegenheit ist, weiß die Oper natürlich auch. Abrahams jüngerer Bruder Nachor, vielfacher Vater, plant gemeinsam mit dem Ältestenrat den Aufstand. Ein herrscherloses Land, wissen alle, wird Krieg und Fremdherrschaft erleben. Nachor soll nach Abraham herrschen. Als zukünftiger Vater kann Abraham die Ordnung wiederherstellen.

Der Komponist Sidney Corbett hat die Balance zwischen mythischer Allgemeingültigkeit und opernhafter Familienstory gut gefunden. Er schafft mit seiner Kammermusikbesetzung von 19 Instrumenten, überwiegend Bläser, einen hellen, dennoch durchdringenden Klangteppich. Michael Wendeberg dirigiert sehr sicher und mit feinem Gefühl für die vielen klangfarblichen Nuancen und prickelnden percussiven Elemente.

Schneidender Wüstenwind lässt sich klanglich ebenso gut assoziieren wie eine in sich kreisende Gedankenmühle: Wo bleibt der Erbe? Als handwerklich genau gearbeitete Opernmusik funktioniert Corbetts Komposition perfekt. Sie trägt die durchweg opulenten Partien der Solisten. Ganz im klassischen Opernmodus werden Personen und Situationen charakterisiert.

Die Frauen, lyrischer Sopran für die junge Hagar, weicher Mezzo für Sara, führen sich mit kantilenenhaften Vokalisen ein, Abraham bekommt die baritonale Durchschlagskraft der Herrscherfigur, Nachor den hohen Tenor des Intriganten und die Räte singen im kompakten Terzett, sogar ein veritables Sauflied dürfen sie bieten.

Die Besetzung konnte besser nicht sein. Roland Fenes hat den stimmlichen Farbenreichtum für den machtbewussten Stammvater wie den besorgten Ehemann wie den plötzlich um die schwangere Hagar herumturtelnden Genießer des späten Zweitfrühlings. Ebenso gelungen der Nachor Manfred Wulferts. Der abgefeimte Demagoge beturtelt die ängstlichen Räte und macht sie kriegsbereit; Kim Schrader, Kai Preußker, Paul Sketris als skurriles Terzett.

Die beiden Frauen - Undine Dreißig als wohlsituierte Sara, Julie Martin du Theil als Mäuschen, das plötzlich die Hauptrolle bekommt - überstrahlen alles. Weiches Leuchten als gemeinsame betörende Grundfarbe und dazwischen genaue Akzentuierungen. Saras Befehlsgewalt im Hause und ihre Fassungslosigkeit, als sich Hagar plötzlich im Sessel räkelt. Hagars Unterwürfigkeit, ihr Wehren gegen die Zumutung und ihr halber Triumph am Ende.

Ulrich Schulz als Regisseur und Bühnenbildner lässt das Spiel auf einer großen Schriftrolle ablaufen, symbolhaft für die Gemeinsamkeiten der Religionen der Schrift. Ihre Feindschaft spielt im Hintergrund, zwei Knaben, Zwillinge, schlagen einander tot.