1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Keine Hoffnung, nirgends

Theater Keine Hoffnung, nirgends

Das Schauspiel Magdeburg eröffnete das Theaterfestival „Wilder Osten - Ereignis Ukraine“ mit einer deutschsprachigen Erstaufführung.

Von Gisela Begrich 20.05.2016, 23:01

Magdeburg l In „Vom Anfang und am Ende aller Zeiten“ zeigt Autor Pavlo Arie Menschen an einem der schlimmsten Orte der Erde, in der Sperrzone von Tschernobyl. Der Gau markiert in deren Leben jedoch nur einen beliebigen Punkt in der Geschichte der Ukraine, die als eine Abfolge von Erniedrigungen, Zurücksetzungen und Auslöschungen erscheint. Die Havarie im Kernkraftwerk stellt sich dar als nur ein Meilenstein in einer Aneinanderreihung von Verheerungen, die Menschen vernichten und Umwelt verwüsten. Und wenn mal keine Katastrophe die Seelen und Körper peinigt, springt die Korruption der Herrschenden in die Bresche.

Die Bühne (Ausstattung Christiane Hercher) spiegelt entsprechend Trostlosigkeit und Morbidität wider, eine dunkle weite Spielfläche und eine Ansammlung von verrotteten, unbrauchbaren Utensilien.

Die Lebenswelten der Figuren unterscheiden sich brachial von unseren. Regisseur Stas Zhyrkov versucht auch gar nicht erst, Anteilnahme für das Unvorstellbare zu erzeugen. Er wählt eine Spielweise, die zur Groteske neigt. Das macht es anstrengend, dem Plot in seine Verästelungen zu folgen, aber ermöglicht den Zuschauern auch mal ein erlösendes Lachen. Der bevorzugte Umgangston zwischen den Protagonisten bewegt sich zwischen Zetern und Schreien und lässt alle Verständigung auflaufen. Nur an einigen wenigen Punkten führt der Regisseur die Crew zu stillen Tönen, die dann umso mehr aufhorchen lassen. Mitunter verfallen die Darsteller in regelrechte Exzesse der körperlichen Bewegung, als könne man das ganze Elend, was da auf Menschen niederbricht, nur bewältigen, indem man wie ein Kind nach Austoben strebt. Oder als ginge es, aus sich selber auszubrechen, vom eigenen gottverlassenen Ich zu desertieren.

Alle Figuren kämpfen unablässig mit den barbarischen Widrigkeiten ihres Daseins, auch der Vertreter der Staatsmacht, der Inspektor der Miliz, der sich in einem Gestrüpp von Gesetzen, Gewohnheitsrechten, gegenseitigen Vergünstigungen und Erpressungen orientieren muss. Ralph Opferkuch gibt eine Person, die sich über weite Strecken krampfhaft beherrscht, um dann, verdeutlicht durch körperliche Verrenkungen, die Fassung zu verlieren. Raphael Gehrmann spielt den geistig zurückgebliebenen Wowka, der als Vertreter der dritten Generation zu diesem Leben von absoluter Hoffnungslosigkeit verdammt ist. Überzeugend zeigt er Hilflosigkeit und Naivität der Figur und macht deren abgedrehte Handlungen glaubhaft. Seine Bewegungsaktivitäten führt er bis zur Ekstase.

Oma Prisja ist total verstrickt in die Brutalität ihrer Lebenswelt, aber in ihrem abstrusen Reservoir von Volksaberglauben steckt auch ein Schatz von Humanismus, der es ihr ermöglicht, in der schlimmsten Misere noch handlungsfähig zu sein. Und sei es zur Rache oder zu blutiger Ohnmacht.

Iris Albrecht agiert in den fast zwei Stunden in dieser Rolle mit einer imponierenden Kraft und Konzentration. Sie treibt die Figur zwischen Hasstiraden, Beleidigungen, Bauernschläue und verblüffender Menschlichkeit fast übergangslos umher.

Alissa Snagowski als ihre Tochter Slawa besticht mit einer Mischung aus hilfloser Verhuschtheit und zähem Willen zum Leben. Wie die Albrecht auch kann die Snagowski gewaltigen Druck auf die Stimme geben: die gedemütigten Menschen haben es verlernt, normal zu reden. Sie schreien sich durch die Zeit, eine Zeit, die unserer nicht vergleichbar ist.

Link zum Festival: http://www.theater-magdeburg.de/spielplan-tickets/schauspiel/wilder-osten/