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Heinz-Rudolf Kunze Der enttäuschte Klassensprecher

Heinz-Rudolf Kunze sprach mit der Volksstimme über seine Tour, den Eurovision Song Contest und Radiomusik.

Von Elisa Sowieja 25.03.2017, 00:01

Volksstimme: Herr Kunze, auf dem Album zu Ihrer aktuellen Tour singen Sie Songs von den Ärzten und den Toten Hosen. Werden Sie jetzt auf der Bühne zum Punkrocker?

Heinz-Rudolf Kunze: Bestimmt nicht. Das wäre meinem fortgeschrittenen Alter nicht mehr angemessen. Die Arrangements der beiden Lieder sind nicht punkig angelegt. Das Ärzte-Lied haben wir R‘n‘B-mäßig mit Geigen umgesetzt, wie es Beyoncé machen würde. Den Tote-Hosen-Song haben wir zu einem Rock-Chanson umgebaut. In dieser Form kommt das dann auch auf die Bühne. Wir sind neun Musiker – eine Riesen-Formation für meine Verhältnisse.

Die Mischung auf dem Album ist sehr, sehr bunt: Freddy Quinn, Karat, Thees Uhlmann. Welchen gemeinsamen Nenner haben die Songs?

Sie haben gar keinen gemeinsamen Nenner. Sie sind alle Teil der riesigen Vielfalt, die Popmusik in Deutschland ist. Ich hatte vier Parameter. Erstens: Ost und West. Zweitens: nicht die üblichen Verdächtigen – wie Maffay oder Lindenberg. Drittens: Songs aus allen Jahrzehnten, in denen es Popmusik gibt. Und viertens: keinen Song lächerlich machen. Es wäre einfach, bei Roy Black einen Spaßpunk zu inszenieren: schnelle, bösartige Polka mit verzerrten Gitarren. Aber das wäre mir zu billig.

Eine Heinz-Rudolf-Kunze-Tour mit Coversongs – Können Sie denn überhaupt ein Konzert spielen ohne „Dein ist mein ganzes Herz“?

Ich hab‘s noch nie versucht.

Glauben Sie, das geht gut?

Nein. Aber was soll ich machen? Die Leute kennen das, sie haben das gern, verbinden damit persönliche Erinnerungen. Ein Konzert ist eben auch dazu da, beim Publikum Erinnerungen wachzurufen. Insofern sind wir Musiker alle Dienstleister.

Fühlen Sie sich mit dem Song immer noch wohl?

Ich bin immer noch überrascht über den Erfolg dieser Nummer, und ich habe mindestens 400 Songs, die ich besser finde. Aber zu meinem Beruf gehört es, dass ich die Leute dort abhole, wo sie stehen.

Zu Ihrem Beruf gehört es auch, sich öffentlich über Musik zu äußern. Vor 21 Jahren haben Sie im Namen Hunderter Künstler zu viel ausländische Musik im Radio beklagt und eine Quote für deutschsprachige Musik gefordert. Was denken Sie, wenn Sie heute das Radio anschalten?

Ich bin befremdet, dass ich immer noch darauf angesprochen werde. Ich habe mich auch nicht gegen zu viel angloamerikanische Musik beklagt. Sondern ich habe eine Forderung von 650 deutschen Musikern als Pressesprecher nach außen getragen – gegen eigene Bedenken. Ich war nicht dafür, weil ich’s für Unsinn hielt. Solch eine Forderung wäre in Deutschland nicht umsetzbar, denn wir haben eine Kulturhoheit der Länder.

Warum haben Sie sich dann als Sprachrohr zur Verfügung gestellt?

Weil ich der geborene Klassensprecher bin. Ich saß damals im Bundestag als Mitglied einer Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. Deshalb haben mich die Kollegen zum Sprecher gewählt. Ich hab‘s sehr bereut. Als einige bösartige Reaktionen auftauchten, haben mich alle im Regen stehen lassen.

Inzwischen hat sich das Problem erledigt. Wie gefällt Ihnen all die deutsche Musik, die derzeit im Radio läuft?

Nicht alles ist Gold, was glänzt, aber es ist doch gut, dass so viele junge Leute deutsch singen. Ich halte es wie Eric Clapton, der in seiner Autobiografie geschrieben hat: „Man soll sich nicht unnötig erregen über Popmusik. 90 Prozent davon waren immer Mist.“

Sie schreiben seit Jahrzehnten Songs und haben schon an einer Hochschule dazu unterrichtet. Da wissen Sie als Experte doch bestimmt, was die Autoren der deutschen Beiträge für den Eurovision Song Contest 2015 und 2016 falsch gemacht haben.

Das ist nicht mein Metier. Außerdem gibt es Experten fürs Songschreiben nicht, weil es für dieses Gewerbe keine Regeln gibt und keine erlernbaren Techniken, wie ein Tischler oder ein Bäcker sie hat. Jedes Lied ist eine neue Aufgabe, für die man die Regeln neu erfinden muss.

Sie wissen also nicht, warum wir zweimal Letzter wurden.

Ich habe keine Ahnung, nach welchen Kriterien die Menschen diese Entscheidung treffen, aber das Niveau des ESC scheint in den letzten Jahren auch stetig zu sinken.

Und als Sie 2007 selbst am Vorausscheid teilnahmen, sahen Sie das noch nicht so?

Damals fand ich das nicht so ausgeprägt. Bevor ich zusagte, hatte ich mich über die Modalitäten informiert. Es wurde gesagt, wir sind nur drei Bewerber, und alle dürfen einen eigenen Song machen und einen mit Orchester. Das hat mir gefallen.

Einen deutschsprachigen Beitrag gab es zuletzt vor zehn Jahren von Roger Cicero. Würde es aus Ihrer Sicht helfen, mal wieder ein Lied auf Deutsch ins Rennen zu schicken?

Ich finde, dieser Wettbewerb würde sehr gewinnen, wenn jedes Land in seiner eigenen Sprache singen würde.

Zum Schluss noch mal zurück zum Thema Punk: Man sagt, Punk ist nicht auf dem Kopf, sondern im Kopf. Wie viel Punk steckt in Ihnen?

Wenn wir uns darauf einigen, dass Punk vor allem Zorn ist, dann bin ich auch ein Punk gewesen, als ich mit der Musik anfing. Ich war bestimmt ein ziemlich zorniger junger Mann und habe die Welt schwarz-weiß gesehen. Wenn man älter wird und plötzlich merkt, dass es selbst in der CSU nette Parlamentarier gibt, mit denen man sich totlachen kann, dann wird das Weltbild verschwommener. Man merkt, das Leben besteht aus Grauzonen und man kann nicht so schnell urteilen. Aber Punk als jugendlicher Ansatz, aufzubegehren und verkrustete Strukturen infrage zu stellen, das ist okay.

Heinz Rudolf Kunze gastiert am 1. April in der Magdebur­ger Stadthalle. Karten für das Event gibt es unter anderem hier.