1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Bauen für Martin Luther

Architekturfotos Bauen für Martin Luther

In den Luther-Orten Wittenberg, Eisleben und Mansfeld ergänzen Neubauten historische Gebäude. Ein Band beleuchtet die Architektur.

Von Uta Baier 06.06.2017, 23:01

München l Die Verehrung setzte sofort ein. Die Veränderung auch. Martin Luther beschäftigte seine Fans und Gegner zu allen Zeiten und an vielen Orten. Vor allem in Wittenberg, seiner Wirkungsstätte, aber auch in seiner Geburts- und Sterbestadt Eisleben und in Mansfeld, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte, suchten Verehrer die Originalplätze seines Lebens auf und veränderten sie. Der Luther-Tourismus in seiner frühen Form brachte Bewahrung und Zerstörung der historischen Stätten gleichermaßen.

„Die Bauten der Reformation besitzen demnach einen über die Jahrhunderte gewachsenen Bestand und belegen dadurch, dass Luther, Melanchton und die Reformation immer wieder neu gesehen und verstanden wurden“, schreibt Stefan Rhein, Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, im gerade erschienenen Buch „Weiterbauen. Weiterdenken. Neue Häuser für Martin Luther“.

Im Gegensatz zum Bauen und Verändern durch vergangene Generationen hat sich die Stiftung Luthergedenkstätten für „Denkmalschutz durch Addition“ entschieden. Die zeitgenössischen Neubauten sind also keine Interpretationen, keine Statements, sondern bieten Entlastung durch neue Funktionsgebäude für Treppen, Aufzüge, Garderoben, Kassenfoyers, Ausstellungsräume. In Wittenberg ergänzt ein Neubau das historische Melanchtonhaus – neben dem prägnanten, dreistöckigen Renaissancegebäude mit zierlichem Staffelgiebel und heller Putzfassade steht nun ein verklinkertes Haus, das sich optisch vor allem dadurch auszeichnet, dass es als Neubau erkennbar ist. Ähnlich wirkt der neue Eingangsturm am Augusteum. Auch zur Erweiterung von Geburts- und Sterbehaus in Eisleben sowie für das Mansfelder Elternhaus des Reformators entschieden sich die Architekten für kistenförmige Anbauten mit einigen abgeschrägten Dachflächen. Allein das Lutherarchiv in Eisleben behielt seine historische Fassade. Im Innern funktionieren die Gebäude perfekt und bieten ausnahmslos routiniert inszenierte Ausblicke auf die städtische Umgebung und die angrenzenden Höfe.

Leider bietet das Buch keine Texte der Architekten selbst, sondern vor allem architekturtheoretische und kunsthistorische Betrachtungen verschiedener Architekturspezialisten. Das ist durchaus informativ, doch ohne die Überlegungen der Architekten erscheint es unvollständig.

Illustriert ist das Buch mit wunderbar zurückhaltenden, kühl-dokumentierenden, undramatischen, fast grafischen Schwarz-Weiß Fotos von Tomász Lewandowski, einem Hallenser Fotografen. Lewandowskis Bilder kommentieren nicht, verdeutlichen jedoch eindrücklich das Bemühen der Architekten um moderne Fassadengestaltungen im historischen Bestand.

Kritiklos blieb das Bauen für Luther in den vergangenen Jahren nicht. Eine besonders laute, sehr prominente, aber keineswegs fachkompetente Stimme erhob sich gegen die Wittenberger Neubauten. Es war die Stimme von Friedrich Schorlemmer, der öffentlichkeitswirksam und – wie es gute Kritik ausmacht – zu Übertreibungen und Zuspitzungen neigend dazu aufrief, sich einen Hammer zur kaufen oder ein Bürgerbegehren zu initiieren. Stiftungsdirektor Stefan Rhein kann nicht verhehlen, wie tief die Kränkung durch diese Kritik sitzt.

Dabei sind Diskussionen um Bau-Projekte Ausdruck eines verantwortlichen bürgerschaftlichen Interesses. Schlimmer als jede Kritik wäre Desinteresse.

„Stadtentwicklung heißt auch – insbesondere in Regionen mit geringerem Wachstum – für Orte neue Sinnstiftungen zu finden oder alte zu stärken“, schreibt Sachsen-Anhalts oberste Denkmalschützerin, die Landeskonservatorin Ulrike Wendland, in ihrem sehr lesenswerten Text zur „Kooperativen Denkmalpflege im Welterbe“. Der Luther-Tourismus werde zwar weder den Bevölkerungsschwund aufhalten noch fehlende Wirtschaftskraft ersetzen, doch er könne helfen, eine neue lokale Identität aufzubauen. „Dass das Planen, Investieren, Sanieren und Neubauen noch viele Jahre weitergehen muss, sollte nicht pessimistisch stimmen, sondern als Chance gesehen werden“, schreibt Wendland. Man könnte auch sagen: Zeit für Reform(ation)en ist immer.

„Weiterbauen. Weiterdenken. Neue Häuser für Martin Luther“, Hirmer Verlag München, 184 S., 39,90 Euro.