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Ausstellung An der Grenze zur Sichtbarkeit

Auf der documenta 14 gibt es so viel Performances zu sehen wie nie. Diese Kunst ist die provokativste und hat in Kassel Tradition.

Von Dorothea Hülsmeier 09.06.2017, 09:55

Kassel (dpa) l Soll man das Maschinengewehr anlegen, den roten Zielpunkt im Visier auf Regina José Galindo richten und abdrücken? Die Künstlerin hat sich in einem Raum eingeschlossen. Draußen hängen vor vier Schießscharten Maschinengewehre – aus Plastik. Die Szenerie im eigentlich unverdächtigen Stadtmuseum Kassel ist beunruhigend.

Wie hoch ist die Hemmschwelle, auch abzudrücken? Das fragt sich auch eine Museumsbesucherin, die mit ihrem 13-jährigen Sohn im Stadtmuseum eigentlich mehr über die Geschichte Kassels lernen wollte. Doch die documenta 14 ist auch hier eingezogen: Mit einer Scheinhinrichtung als provokativer Kunst-Performance, die sich mit den Mechanismen der Gewalt auseinandersetzt. Und so zielt der 13-Jährige nun auf die unbewegt in der Mitte des Raums stehende Galindo.

Performances ziehen sich wie ein roter Faden durch die von Adam Szymczyk kuratierte documenta, die morgen eröffnet wird. Weg von der Malerei, hin zu Interventionen, das hat in Kassel spätestens seit Joseph Beuys eine besondere Tradition.

Man kann von den Performances der documenta 14 erschüttert werden wie von Galindos Erschießungsszenerie, man kann aber auch an ihnen vorbeilaufen, ohne sie überhaupt als Kunstwerk zu erkennen. Etwa wenn sich das Duo Prinz Gholam auf dem alten Friedhof am Lutherplatz langsam und in unauffälliger Kleidung an Grabsteine lehnt. Und noch weniger Menschen dürften Notiz von den beiden Künstlern nehmen, die Posen berühmter Bilder der Kunstgeschichte nachstellen. Von Kunst „an der Grenze zur Sichtbarkeit“ hatte eine Kuratorin gesprochen.

Manchmal stolpert der Besucher aber geradezu über Performance-Künstler. Etwa im Treppenhaus des ehemaligen Hauptpostgebäudes, das zum Hotspot der Kasseler documenta werden dürfte. Dort liegt eine junge Frau wie tot am Boden, die Augen weit geöffnet. Die Choreographin Maria Hassabi und ihre Tänzer liegen überall im Weg und bewegen sich wie in Zeitlupe.

In diesem Sommer erlebt die flüchtige und vergängliche Kunstform Performance einen neuen Boom. Nicht zuletzt wurde das deutlich mit der Verleihung des Goldenen Löwen der Biennale in Venedig an die US-amerikanische Performancekünstlerin Carolee Schneemann für ihr Lebenswerk und an Anne Imhof für „Faust“ im Deutschen Pavillon.