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Foto-Ausstellung Das Antlitz der Zeit

Ausschnitte des Porträtwerks „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander werden ab Sonntag im Magdeburger Kunstmuseum gezeigt.

Von Grit Warnat 07.04.2017, 01:01

Magdeburg l Der Industrielle mit Merkel-Raute, der voluminöse Konditor mit Blechtopf, die Maklerin mit Hut, Fliege und langem schwarzen Mantel, der Polizeibeamte mit riesigem Schnauzer, zwei blinde Mädchen, eine Hausiererin, die fein angezogenen Söhne des Ministerpräsidenten. Im Fotografiewerk „Menschen des 20. Jahrhunderts“ des 1964 in Köln verstorbenen August Sander finden sich Bauern neben Handwerkern, Künstler neben Politikern und Großstädter jeglicher Couleur wieder. Sander hat vor allem in den 1920er und 1930er Jahren hunderte Fotos gemacht und alle sozialen Schichten abgelichtet. Uwe Gellner, Kurator des Kunstmuseums, spricht von einer „Kartografie der sozialen Pyramide“. Das habe es vor Sander noch nicht gegeben.

Die frühesten Bilder, die in Magdeburg zu sehen sind, sind Bauern aus dem Westerwald. Jungbauer, Kinder, Braut, Familien – teilweise noch vor dem Ersten Weltkrieg entstanden. Erst Mitte der 1920er Jahre, da war der Künstler schon 50, reifte seine Idee für ein außergewöhnliches Porträtwerk. Bereits Entstandenes ließ er darin einfließen, mit den Jahren vervollkommnete er sein Projekt. Bis 1950 kamen immer wieder neue Gesichter hinzu – fotografiert im Atelier, am Arbeitsplatz, in persönlicher Umgebung. Was Sander hinterließ, ist ein vielschichtiges, authentisches Bild des Menschen jener Zeit, das den Betrachter durch verschiedenste Berufsgruppen, durch unterschiedlichste gesellschaftliche Schichten führt.

1927, noch am Anfang seines mit den Jahren immer weiter wachsenden Projektes, präsentierte der Fotograf erstmals 60 Porträts beim Kölnischen Kunstverein. Wenig später entstand das einst vielbeachtete Buch „Antlitz der Zeit“. Die Druckstöcke zu dieser Arbeit wurden laut der Photographischen Sammlung/SK Stiftung Kultur in Köln von den Nationalsozialisten zerstört, der Vertrieb des Buches eingestellt.

Die Kölner Einrichtung hat die größte Sammlung zum Sander‘schen Werk. Allein zum Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ liegen 1800 originale Negative vor. 100 Prints (Gelatinesilberabzug), einige davon noch nie zuvor in der Öffentlichkeit gezeigt, sind jetzt in Zusammenarbeit mit der Kölner Einrichtung im Kunstmuseum ausgestellt.

Das Magdeburger Haus hängt die Arbeiten in einzelnen Gruppen, so wie sie Sander einst in akribischer Arbeit zugeordnet hat. Sein Projekt vom Bild des Menschen teilte er in sieben Bereiche ein, die er selbst betitelte mit Der Bauer, Der Handwerker, Die Frau, Die Stände, Die Künstler, Die Großstadt und Die letzten Menschen. Er unterteilte in weitere 45 Bildmappen.

„Das Wesen der gesamten Photographie ist dokumentarischer Art,“ hat August Sander einmal geschrieben. Er setzte auf das Dokumentarische, das Wirklichkeitsnahe, fast immer auf den direkten Blickkontakt. Sein Sohn Erich schaut nicht in die Kamera. Ihn fotografierte der Vater als politischen Häftling.

Eröffnung der Sonderausstellung am Sonntag, 9. April, um 15 Uhr im Kunstmuseum. Zu sehen sind die Fotografien bis 15. Juni. Öffnungszeiten: dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr, am Wochenende bis 18 Uhr.