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Ausstellung Der Stein der Weisen liegt in Halle

Die nächste große Ausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle präsentiert die Überreste einer Wittenberger Alchemistenwerkstatt.

Von Uta Baier 10.11.2016, 23:01

Halle l Während der Vorbereitungen für die neue Sonderschau "Alchemie" haben Christian-Heinrich Wunderlich, Chefrestaurator am Landesmuseum für Vorgeschichte, und sein Team Glasscherben zu Flaschen und Kolben zusammengepuzzelt und jahrhundertealte Versuche wiederholt. Ein Gespräch über grauenhafte Brechmittel, einen Wittenberger Großbetrieb und das Rezept für Coca Cola.

Vor einiger Zeit haben Sie Grabungsfunde aus Wittenberg begutachtet. Woran haben Sie erkannt, dass Sie die Überreste einer Alchemistenwerkstatt vor sich hatten?

Christian-Heinrich Wunderlich: Erst mal gar nicht. Deshalb hätte diesen Fund fast das gleiche Schicksal ereilt, wie viele andere frühneuzeitliche Glasscherbenfunde – er wäre zunächst unerforscht ins Depot gewandert.

Und was hat ihn vor einem unerforschten Depotdasein gerettet?

Wie üblich wurden die Scherben zu uns in die Restaurierungswerkstatt gebracht. In der Restaurierung gehen wir die Dinge durch, gucken, ob man etwas zusammensetzen kann, aber Scherbenhaufen wie diesen setzen wir normalerweise nicht wieder zusammen – da bräuchte ich 300 Mitarbeiter mehr. Ich habe aber nur vier. Doch als ich den Scherbenhaufen betrachtete, fiel mir auf, dass an vielen Scherben Substanzen klebten. Da war mein Interesse geweckt.

Was haftete an den Scherben?

Quecksilberverbindungen, Antimon- und Bleiverbindungen. Da dachte ich sofort an Alchemie, denn besonders Antimonverbindungen spielten früher eine große Rolle. Ich konnte für jedes der Gefäße nachweisen, was darin gekocht wurde.

Gold?

Darauf haben wir keinen einzigen Hinweis.

Schade!

Eigentlich nicht, denn es ist viel spannender. Es gab ja zwei große Zweige der Alchemie: der eine war die Metallurgie, der andere geht auf Paracelsus zurück. Während es bei der Metallurgie darum ging, Gold oder den Stein der Weisen zu finden, ging es bei Paracelsus um Arzneimittel. Und darum ging es auch in der Wittenberger Werkstatt.

Paracelsus (1493-1541) war Arzt, Naturforscher und Philosoph. Er bekämpfte die Schulmedizin seiner Zeit und schrieb seine medizinischen Bücher auf deutsch. Auf ihn geht der Ausspruch „Die Dosis macht das Gift“ zurück. Das ist bis heute der Grundsatz der Pharmazie überhaupt. Denn Paracelsus kam auf die Idee, schwere Krankheiten mit drastisch wirkenden Arzneien zu therapieren. Quecksilber zum Beispiel war für ihn ganz wichtig. Mit Quecksilber heilte Paracelsus die Syphilis, die zu seiner Zeit aufkam. Und das blieb bis in die 1920er Jahre, also bis zur Entdeckung der Antibiotika, so.

Heilung durch Quecksilber? Das klingt nach Vergiftung.

In der Tat. Krankheiten des Menschen waren nach damaliger Meinung Verunreinigungen. Und da kam das Antimon als Reinigungsmittel ins Spiel. Antimon wurde in Wein gelöst den Patienten verabreicht. Das war der sogenannte Brechbecher. Ein flüssiges Gift, das als grauenvolles, schmerzerregendes Brechmittel wirkt. Es erzeugt außerdem Durchfall und ist extrem schweißtreibend.

Wir haben großes Glück, heute zu leben.

Wir haben verdammtes Glück, das stimmt. Auch wenn man bedenkt, dass Antimon bis in die 1930er Jahre verwendet wurde.

Haben Sie etwas über den Betreiber des Wittenberger Alchemistenlabors herausfinden können?

Nein. Die Werkstatt stammt etwa aus der Zeit 1580-1600. Friedrich dem Weisen und seinem Nachfolger, Kurfürst August von Sachsen und seiner Frau Anna von Dänemark gehörte die Liegenschaft, aber wahrscheinlich haben sie selbst dort nicht operiert. Ich vermute aber einen Zusammenhang zum Fürsten, denn es war sehr kostspielig, ein solches Labor aufzubauen. Glaskolben und auch die Metalle waren teuer. Und es wurde viel von allem dort verarbeitet. Es war ein „pharmazeutisches Kombinat“.

Ein Großbetrieb?

Ja. Wir haben mehrere Hinweise auf die Produktion von Vitriolöl, das aus Schwefelsäure hergestellt wird, gefunden. Ich bin sicher, dass in unserer Werkstatt wöchentlich mehrere Liter dieser Flüssigkeit produziert wurden. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Werkstatt mit ihren Produkten handelte. Paracelsus verwendete Vitriolöl übrigens zur Heilung von Wahnsinn.

Wahnsinn?! Ein schwefelsäurehaltiges Medikament?

Ja, so schlecht hat das wahrscheinlich gar nicht geschmeckt. Die Mischung war vor allem sauer. Ob es geholfen hat? Aber im Prinzip ist die Verwendung von Schwefelsäure nicht ungewöhnlich in der Pharmazie. Bei Valerius Cordus, der auch einmal in Wittenberg war, gibt es zum Beispiel ein Rezept aus Süßholzsirup mit Muskatöl und ein paar Tropfen Schwefelsäure. Das ist Coca-Cola-Konzentrat, auch wenn heute in Coca-Cola Phosphorsäure verwendet wird. Und der Coca-Cola-Erfinder war Apotheker, er kommt also auch aus der pharmazeutischen Richtung.

Sie haben in einem Gefäß das Skelett eines Hundes gefunden. Was hat der Wittenberger Alchemist mit dem Tier gemacht?

Wir wissen es nicht. Es gibt aber naheliegende Erklärungsansätze. Der Hund kam nicht als Ganzes in den Topf, sondern die Knochen waren schon vereinzelt. Im Topf hat man die Knochen nun erhitzt, dabei entstanden Brandspuren. Naheliegend ist daher: Der Alchemist hat versucht, Knochen-Asche herzustellen, die man in der Metallurgie für spezielle Tiegel benötigte. Dagegen spricht: Es war keine metallurgische Werkstatt. Es gibt noch andere Erklärungsmöglichkeiten, aber bislang keine, die uns rundum überzeugt.

Alchemisten waren immer auf der Suche nach dem Stein der Weisen? Haben Sie einen gefunden?

Ja.

Wirklich! Wo?

Der, den wir in der Ausstellung zeigen, kommt aus dem Besitz der Fürsten zu Stolberg-Wernigerode.

Und wie sieht er aus, der Stein der Weisen?

In dem Säckchen, das die Fürsten von dem Alchemisten Esaias Stumpfeldt kauften, waren einige rote Linsen, durchscheinend und glasartig. Das entspricht genau der Vorstellung, wie der Stein aussehen muss. Eine durfte ich auf ihre Bestandteile untersuchen und habe Arsensulfid, Quecksilbersulfid und Antimonsulfid gefunden. Ich kann also nun den Stein der Weisen herstellen.

Alchemie - Die Suche nach dem Weltgeheimnis, 25. November bis 5. Juni 2017. Geöffnet ist Di. bis Fr. 9 – 17 Uhr, Sa, So, Feiertage 10 — 18 Uhr. Eintritt: 8 Euro. Das Begleitheft zur Ausstellung kostet 11 Euro.