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Ausstellung Eine Welt der Linien

Mittelalterliche Kostbarkeiten treffen auf zeitgenössische Kunst: Im Domschatz Halberstadt ist die Sonderausstellung „Linien“ zu sehen.

Von Grit Warnat 11.09.2017, 01:01

Halberstadt l Als die Kunsthistorikerin Claudia Wyludda erstmals Arbeiten des Künstlers Marco Zumbé gesehen hatte, sei da sofort ein Erinnerungsmoment an die mittelalterlichen Altarbilder im heimischen Halberstädter Domschatz gewesen, sagt sie. Als habe Zumbé die Emotionen, das Spannungsfeld dieser biblischen Geschichten der Altarbilder eingefangen, als habe er das Wesen dieser biblischen Darstellungen erfasst. Dabei kannte der Kölner die Kostbarkeiten des umfangreichsten erhaltenen mittelalterlichen Kirchenschatzes der Welt in Halberstadt noch gar nicht.

Der Künstler, dessen Werk von Linien geprägt ist, kam aber in den Vorharz, und machte sich – tief beeindruckt vom gotischen Ensemble und den wertvollen Schätzen – an die Arbeit. Vier Werke sind speziell für die neue Ausstellung entstanden. 16 seiner Linien-Arbeiten sind insgesamt zu sehen.

Im Domschatz steht Zumbé neben der um 1400 entstandenen „Madonna mit der Korallenkette“. Es gehört zu den kostbarsten Altarbildern des Halberstädter Domschatzes. Gerade deren Muster und Texturen haben Zumbé inspiriert. Seine Sicht findet sich in einer direkt neben dem Altarbild aufgestellten Leinwandarbeit wieder.

Der Kölner spielt immer mit der Linie – sie ist erst abstrakt, wird dann zum darstellenden Moment. „Ich versuche, mich mit meinen Arbeiten immer zwischen diesen beiden Polen zu bewegen“, sagt er. Wenn man seine großformatigen Leinwände sieht, denkt der Betrachter unweigerlich an Öl auf Leinwand. Erst beim genaueren Hinsehen entdeckt man, dass da kein Pinsel benutzt wurde, sondern Marker und die dazugehörigen Tuschen. Am Anfang, so sagt der Maler, stehe ein Liniengerüst. Flüssige Farbe treffe auf eine nicht grundierte Leinwand, die die Farbe aufsauge. Zumbé: „Sehr unterschiedlich dehnt sich die Linie aus. Sie wird selbst zur Form.“ Er spricht von einer Art des Einfärbens.

Und die Bereiche zwischen den Linien? Der Kölner nennt sie Umgebung und eigenständige Landschaft. Die verändere sich, sagt er, indem er die Hinterseite des Bildes bemale, nur ein Teil der Farbe dringe durch die Leinwand. Es entstünden Spuren auf der Vorderseite, eine besondere Textur.

Zumbé liebt diese besonderen Strukturen. Zu finden sind sie auch bei seinen Stoff- und Foliencollagen. Im oberen Kreuzgang hängen sie versetzt von der Decke mitten hinein in den mittelalterlichen Raum. Linien über Linien.

Claudia Wyludda sieht in ihnen nicht nur das Zeitgenössische, sondern eine jahrhundertealte Tradition. Die Kunsthistorikerin erzählt, dass der römische Universalgelehrte Plinius einst das tägliche Malen einer Linie durch den Maler Apelles mit den Worten „nulla dies sine linea“ (kein Tag ohne Linie) beschrieben habe. In den 1930er Jahren habe Paul Klee diesen Satz aufgegriffen, nach ihm weitere Künstler und Philosophen.

Linien gibt es – wenn auch ganz anders – auch im zweiten Teil der Sonderausstellung. Im abgedunkelten Gewändersaal des Domschatzes ist Kunst von Martin Leonhardt zu sehen, darunter einige seiner schlanken Figuren, die an den Schweizer Bildhauer Alberto Giacometti erinnern, sowie seine sogenannten Mantelhüllenbilder. Diese drei Arbeiten des 1987 mit nur 38 Jahren verstorbenen Künstlers aus der Lutherstadt Eisleben waren kurz vor dessen Tod entstanden. Laut Wyludda begreife die Witwe die Arbeiten mit den Mänteln ohne Körper als eine Vorahnung auf das Sterben. Sie ergänzen den Blick auf die mittelalterlichen Ornate.

Zeitgenössische Kunst im Domschatz Halberstadt ist nicht neu. Seit Jahren schon setzt das Team mit Sonderausstellungen auf andere Sichten. Erst im vergangenen Jahr traf neue Textilkunst aus Mitteldeutschland auf die wertvollen romanischen, 800 Jahre alten Bildteppiche. Jetzt nun „Linien“. Bis zum 14. Januar 2018 sind sie zu sehen.