1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Briefwechsel mit Christa Wolf in Neuauflage

Brigitte Reimann Briefwechsel mit Christa Wolf in Neuauflage

Den Briefwechsel zwischen Christa Wolf und Brigitte Reimann hat der Aufbau Verlag in einer erweiterten Neuauflage herausgebracht.

Von Grit Warnat 08.07.2016, 01:01

Magdeburg l 1960 war Christa Wolf (1929-2011) für Brigitte Reimann (1933–1973) noch „meine beste Feindin“: Wolf saß in einer Wettbewerbsjury und hatte die eingereichte Erzählung der gebürtigen Burgerin nicht gewinnen lassen, stattdessen einen Text von Irmtraud Morgner vorgezogen. Drei Jahre später erst sollten sich die beiden Autorinnen bei einer Reise des Schriftstellerverbandes nach Moskau persönlich kennen- und schätzenlernen. Da hatte Brigitte Reimann in ihr Tagebuch geschrieben: „Ich glaube, ich habe sie liebgewonnen.“ Später sollte sie notieren: „Die beneidete, bewunderte Christa nimmt mich ernst.“

Immer wieder wird in den Tagebuchaufzeichnungen und den literarisch verfassten Briefen der große Respekt der Reimann gegenüber Christa Wolf deutlich, deren Roman „Der geteilte Himmel“ gerade erschienen war. Dabei hatte die am 21. Juli 1933 in Burg geborene Reimann zu dieser Zeit ein respektables Schaffen vorzuweisen. „Die Frau am Pranger“ war bereits veröffentlicht, ebenso „Das Geständnis“ (1960), „Ankunft im Alltag“ (1961) und „Die Geschwister“ (1963).

Erst Ende der 1960er Jahre wird der Briefwechsel intensiver, die Freundschaft fester. Es ist die Zeit, als Christa Wolfs Buch „Nachdenken über Christa T.“ von Gremien immer mehr zerredet wird. Die Auflage sinkt auf 5000 Exemplare, von denen dann nur 3000 ausgeliefert werden sollen. Brigitte Reimann wird zur Mutmacherin: „Halt Dein Herz fest, Du weißt ja, was Dich erwartet. Man hört schon allerlei von gewetzten Messern ...“

Immer wieder kommt aber auch bei ihr die Angst hoch, für die Schublade zu schreiben. Reimann und Wolf erleben, wie Schriftsteller fertiggemacht werden.

Die beiden doch so unterschiedlichen Autorinnen, die, wie es Gerhard Wolf in seinem Vorspann schreibt, sehr verschiedene Lebensumstände und auch Unterschiede in ihrem schriftstellerischen Selbstverständnis hatten, kommen sich immer näher in ihren Zweifeln und Ängsten, auch in ihrem gegenseitigen Sich-Mut-Machen, in ihren literarischen Ratschlägen, ihrem Austausch über Lektüre. „Ihr Wesen ist dem meinen ganz entgegengesetzt, vielleicht gerade deshalb diese Anziehung. ... Wahrscheinlich eine Art Konkurrenzneid, weil sie mir überlegen ist, klüger, nachdenklicher, ihre Prosa klarer, geschliffener“, schreibt Reimann 1968 in ihr Tagebuch.

Da ist sie schon krank. Da wurde ihr schon eine Brust amputiert. Reimann bezeichnet sich selbst als halber Mensch, als halbierte Frau. „Das Entsetzen morgens beim Aufwachen (ich träume jede Nacht von der Zerstückelung, und abends, wenn ich mich ausziehe, dieses Gefühl von Fremdheit: Ich sehe ohne Schrecken die Narbe ...“

Sie sehen sich nicht oft, Reimann zieht gerade aus ihrem Hoy um, ihre Kurzform für Hoyerswerda, ihr „synthetisches Städtchen“. Sie geht nach Neubrandenburg, Wolf, die in Kleinmachnow wohnt, ist viel unterwegs. Finnland, Moskau, Stuttgart, Paris. Wolf erzählt, was sie erlebt, Reimann ebenso. Das sind Offenbarungen. Affären, Ehesorgen, Trennungen, Krankheit und die Krisen des Nicht-Schreiben-Könnens.

Und so liest sich „Sei gegrüßt und lebe“ nicht nur als sehr persönlicher Austausch zweier großer Literatenfrauen, sondern als eine Hommage ans heute fast vergessene Briefeschreiben, für das man sich Zeit nahm und sogar Wert aufs Handschriftliche legte – der persönlichen Note wegen. „Liebe Christa, eine Bitte um Entschuldigung zuvor, weil ich mit der Maschine schreibe.“

Später im Buch werden die Narben mehr und die Operationen und die „Krebserei“, wie Reimann schreibt. Sie ist in Krankenhäusern, kämpft gegen den Tod und für die Vollendung ihres 600-Seiten-Romans. Wolf besucht die schwerstkranke Frau und schreibt Briefe und fragt immer wieder aufmunternd nach: „Was macht die Franziska“? „Franziska Linkerhand“ bleibt unvollendet. Reimann starb 1973 noch nicht 40-jährig. Christa Wolf hatte nach der Todesnachricht an deren Eltern geschrieben: „Ich bin mir sicher, dass ihr letztes Manuskript, auch wenn das allerletzte Kapitel fehlt, veröffentlicht werden wird.“

1974 erscheint „Franziska Linkerhand“ posthum und wird zum Kultbuch in der DDR.

„Sei gegrüßt und lebe" erschien im Aufbau Verlag, 270 Seiten, 21,95 Euro.