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Roman Liebe mitten in den Katastrophen

Vor seiner Lesung am 12. Mai in Magdeburg hat Grit Warnat mit Büchner-Preisträger F. C. Delius über seinen neuen Roman gesprochen.

24.04.2016, 23:01

Herr Delius, Sie beobachten in Ihren Büchern deutsche Geschichte. Inwieweit ist „Die Liebesgeschichtenerzählerin“ wieder ein deutscher Roman?

Friedrich Christian Delius: Literatur forscht immer danach, wie Menschen mit Konflikten, mit Niederlagen, mit ihrer Liebe umgehen. Da stößt man auf Geschichte – wir Deutschen auf unsere fürchterliche und großartige, immer aufregende deutsche Geschichte.

Sie gehen zurück bis zu den napoleonischen Kriegen.

Ich spanne den Bogen sehr weit. Napoleonische Kriege, Erster und Zweiter Weltkrieg. Es gibt drei Geschichten, die rückblickend aus dem Jahr 1969 erzählt werden.

Sie schreiben aus der Perspektive einer Frau, die mehr als nur Hausfrau und Mutter sein möchte. Verorten Sie deshalb Ihren Roman in das Ende der 1960er Jahre, in eine Zeit des Auf- und Umbruchs?

Ja. Die 60er Jahre markieren einen Veränderungspunkt, sowohl im Westen mit seinen Studentenprotesten als auch im Osten mit dem Prager Frühling. In dieser Zeit möchte eine Frau aus ihrer traditionellen Hausfrauenrolle raus, sie möchte schreiben, sich beweisen, etwas aus sich machen, sich emanzipieren, ohne zu rebellieren. Sie stürzt sich in die Recherche zu ihrem ersten Roman und damit zu sich selbst.

Diese Recherche führt sie zurück in die Geschichte des Vaters, der vom Kriegs- in einen Gottesgehorsam fällt. Wollten Sie Anpassung thematisieren?

Ja. Der Vater ist ein ehemaliger U-Boot-Kommandant, der nach 1918 erst einmal gelähmt ist, seine religiöse Erleuchtung findet und zu einem pietistischen Prediger wird. Er wechselt von der kaiserlichen in die religiöse Rüstung. Wenn man an Heinrich Mann denkt, kann man sagen, er ist ein protestantischer Untertan. An ihm reibt sich die Erzählerin.

Auch sie wollte in der NS-Zeit ein gutes deutsches Mädel und eine gute Christin sein.

Junge Mädchen und junge Männer sind oft erst mal Idealisten gewesen, bis sie merkten, dass sie irgendwie ‚nein‘ sagen oder sich dem Führer unterwerfen mussten.

Es geht um Liebe, vielmehr aber um Krieg und zerstörtes Leben. Ist der Buchtitel nicht irreführend?

Nein. Meine Erzählerin entdeckt, wie viel Liebe mitten in den Katastrophen, in den Niederlagen, in den Kriegen entsteht.

Das alles auf nur 200 Seiten. Wie schaffen Sie das?

Ich hätte leicht 700 Seiten daraus machen können. Aber Kunst besteht nun mal vor allem im Weglassen. Die Erzählerin ist ja stets in Bewegung. Sie geht am Meer entlang, fährt mit dem Zug, ständig nachdenkend über ihre drei Projekte. Es fällt ihr immer wieder Neues ein, und es reicht, wenn ich das konzentriert erzähle, ohne allzu viel auszuschmücken. Nein, ich ziehe meine Texte nicht gern in die Länge. Ich bin kein Marathonläufer mit dicken Büchern, bin auch kein Sprinter, der Kurzgeschichten schreibt. Ich mag die kürzere Mittelstrecke, und nebenbei sind die Leser dankbar dafür.

Auf dem Cover steht Roman. Sie selbst schreiben von Gedankenfahrten in die Vergangenheit der Eltern. Ich würde es Monolog nennen. Was ist es für Sie?

Es ist ein Roman, weil ein Familienkosmos aufgebaut wird, der durch viele Orte und mehr als hundert Jahre führt.

Gibt es einen Teil in diesem Kosmos, der zu Ihrer Familie gehört, also biografisch ist?

Das Material dieses Romans kommt von meiner Familie mütterlicherseits. In dem U-Boot-Kapitän und „Volksmissionar“ kann man meinen Großvater sehen. Ich wollte schon lange über diesen Großvater schreiben. Aber nicht als besserwisserischer Enkel, der dazu neigt, die Vorfahren zu heroisieren oder niederzumachen. Deshalb wähle ich den Weg über seine Tochter, die schreibende Schwester meiner Mutter, die in „Bildnis der Mutter als junge Frau“ porträtiert ist. Väterlicherseits habe ich übrigens auch mit Magdeburg zu tun. Mein Vater war hier auf dem Gymnasium und ist in Ziesar aufgewachsen. Aber die väterliche, die Magdeburger Geschichte ist noch nicht geschrieben.

Wollen Sie den Leser anregen, sich mit den eigenen Wurzeln zu beschäftigen?

Ja, das wäre schon mal eine von vielen guten Wirkungen, die uns die Literatur schenkt.

F. C. Delius liest auf Einladung der Buchhandlung Wahle am Donnerstag, 12. Mai, 19.30 Uhr, im Forum Gestaltung, Magdeburg. Karten für 10/erm. 7 Euro in der Buchhandlung oder im Forum.