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Der König der böhmischen Prosa - Hrabal wäre 100 geworden

27.03.2014, 14:40

Prag - In der früheren Stammkneipe des Erzählergenies Bohumil Hrabal ist die Zeit stehengeblieben.

Im "Goldenen Tiger" in einer verwinkelten Prager Altstadtgasse war der tschechische Schriftsteller ein gern gesehener Gast. Hier spitzte er seine Ohren, um später den "pábitelé" - den Baflern oder Palaverern - in seinen Erzählungen ein Denkmal zu setzen. Das Licht von außen fällt nur gedämpft durch die Buntglasfenster. Es ist eine eigene Welt.

Noch lange nach seinem Tod seien hier Hrabals Freunde jeden Dienstag um fünf zum Stammtisch zusammengekommen, berichtet der Schriftsteller Jaroslav Rudis (41). Hrabal habe die Anekdote zur Meisterdisziplin gemacht, sagt Rudis, der bei seinem eigenen Schreiben immer wieder über den legendären Erzähler stolpert. "In Hrabal treffen zwei Autoren aufeinander, die mit Prag verbunden sind, und das sind Franz Kafka und Jaroslav Hasek", meint Rudis.

Am 28. März wäre der literarische Spätzünder Hrabal 100 Jahre alt geworden. Reporter machen sich in diesen Tagen auf den Weg, um Spuren des Schriftstellers aufzuspüren. Im Stellwerk von Dobrovice stellt ein Fahrdienstleiter die Weichen über Hebel und Drahtseile genauso wie einst Hrabal während seiner kurzen Karriere als Eisenbahner im Zweiten Weltkrieg. "Das ist ein Klassiker, praktisch störungsfrei", berichtete der Mann dem tschechischen Rundfunk.

Um die Eisenbahn kreist Hrabals Erzählung "Scharf beobachtete Züge" von 1964, die dem Regisseur Jiri Menzel einen Oscar einbrachte. Es fehlt nicht an erotischen Szenen, wenn etwa der Eisenbahner Hubicka den Po der Telefonistin mit Amtsstempeln verziert. Und doch endet die Handlung über die Résistance gegen die Nazis tragisch mit dem Tod eines Heranwachsenden. Hrabal entdecke Witz und Humor, aber zugleich etwas sehr Düsteres in den Menschen, meint der Schriftsteller-Kollege Rudis.

In seinen Kurzgeschichten konnte der Adoptivsohn eines Braumeisters aus einem irrwitzigen Erfahrungsschatz schöpfen. Das Leben hatte er gesehen als Eisenbahner, Doktor der Rechte, in der Stahlproduktion der Poldiwerke und als Altpapier-Packer. Die Absurditäten des sozialistischen Wirtschaftens legte er einer Figur so in den Mund: "Fünfunddreißig Jahre lang habe ich Altpapier an der mechanischen Presse gepresst, fünfunddreißig Jahre lang hab ich mir gedacht (...), dass diese Presse mit mir in Pension gehen würde."

Der Durchbruch für Hrabal kam erst spät im Alter von fast 50 Jahren mit dem Erzählband "Perlchen auf dem Grund" von 1963, das dem kleinen Mann auf der Straße ein Denkmal setzte. Hrabal verdrehte den Alltag dabei oft ins Groteske. Das widersprach dem sozialistischen Realismus und ließ seine Wurzeln in der surrealistischen Poesie erkennen.

Kritik am sowjetischen Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968 führte zu einem Publikationsverbot, das bis zur Selbstkritik 1975 andauerte. Hrabal schrieb viel für die Schublade. Von vielen Texten gab es zwei oder noch mehr Versionen - eine für die Zensur, eine andere für die Leser der Untergrund-Literatur.

Kritiker sprachen von einem "Doppelleben". So wählte der Protagonist in einer Variante den Freitod, in einer anderen war alles nur ein Traum. Die Nachricht über Hrabals Tod im Februar 1997 wirkte dann ebenso grotesk wie eine seiner Wirtshaus-Schrullen. Er sei beim Taubenfüttern aus dem Fenster gestürzt, sagten die Ärzte.

Die Geschichte seiner Geburt verfremdete Hrabal mit makabrem Witz in dem Band "Ich dachte an die goldenen Zeiten": Als sein Großvater von der Schwangerschaft seiner ledigen Tochter erfährt, schleift er sie auf den Hof und will sie erschießen. "Lasst das, kommt essen, es wird sonst kalt", mahnt die Großmutter - und bekommt ihren Willen.