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Anrührende Biografie: Deutschlands berühmtester Türsteher erzählt

07.08.2014, 08:40

Berlin - Sein Gesicht ist ein einziges Tattoo, Lippen und Nase sind von schwerem Silberschmuck durchbohrt, an den Händen prangen Ringe mit Totenkopf.

Sven Marquardt ist Deutschlands berühmtester und gefürchtetster Türsteher. Wenn er den Daumen senkt, war stundenlanges Schlangestehen und durchstylen in Schwarz umsonst: Kein Einlass ins Berghain, keine Aufnahme ins Allerheiligste der Technoszene, kein sphärengleiches Abtauchen in Tanz, Sex und Rausch.

"Die Nacht ist Leben" - unter diesem Titel hat der 52-jährige Berliner jetzt seine Autobiografie herausgebracht, und sie ist gleich mehrfach eine Überraschung. Der knallharte Zerberus, der seit fast zehn Jahren gnadenlos den Zugang zu einem der weltweit bekanntesten Kult-Clubs im Berliner Stadtteil Friedrichshain kontrolliert, outet sich in dem Buch als empfindsamer, nachdenklicher und oft tieftrauriger Mensch.

Vor allem aber vermittelt Marquardt zusammen mit seiner Co-Autorin Judka Strittmatter einen berührenden Einblick in das Lebensgefühl der Punk- und Undergroundszene in der früheren DDR. Zu seinem Antrieb für das Buch sagte er der Nachrichtenagentur dpa: "Ich wollte eine Berlin-Geschichte erzählen. Ich glaube, dass mein Leben ein Stück für das Berlin von damals und für das Berlin von heute steht - jedenfalls ein ganz kleines Stückchen."

Und so nimmt das Raubein den Leser mit auf eine besondere Zeitreise. 1962, ein Jahr nach dem Bau der Mauer im Osten der Stadt geboren, leidet der Junge sehr unter der Trennung der Eltern. Seine Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung versucht er durch Rebellion, Auffallen und Verweigerung zu stillen: Er treibt sich herum, schwänzt die Schule, säuft sich zu. Schon als Teenager taucht er voll in der Schwulenszene ab. Die Männer, so schreibt er, "geben mir ein Gefühl von Macht, weil sie mich wollen".

Eine "Seelenverwandtschaft" mit dem Sohn der bekannten Fotografin Helga Paris katapultiert ihn Anfang der 80er Jahre in die Künstler-Bohème im heute so schnieken Stadtteil Prenzlauer Berg. Mit Irokesenschnitt und Lederjacke zieht er mit dem Freund ziel- und perspektivlos durch die zunehmend verfallende Stadt, entdeckt dabei aber eine Leidenschaft, die ihn bis heute packt.

Nach der Schule hatte er mit "Null Bock" eine Lehre als Fotograf und Kameramann beim DDR-Fernsehen in Adlershof absolviert. Mit der professionellen Unterstützung von Helga Paris entwickelt er jetzt seine eigene Handschrift mit der Kamera: Dramatisch inszenierte Figuren in riesigen, leeren Hallen oder vor bröckelnden Wänden - verspielt, rätselhaft und oft beklemmend.

Später wird er für die angesehene DDR-Zeitschrift "Sibylle" als Mode-Fotograf arbeiten und mehrere Ausstellungen bestreiten. Für Aufsehen sorgten 2010 und 2011 seine beiden Bildbände "zukünftig vergangen" und "Heiland", ein ungewöhnliches Fotoshooting für eine Jeansmarke. Auch in der bis Ende August laufenden Ausstellung zum zehnjährigen Bestehen des Berghain sind Aufnahmen von ihm zu sehen.

Nur: Wie kam er dort hin? Nach dem harten Bruch durch die Wende 1989/90 lässt sich Marquardt zunächst von der explodierenden Technoszene verschlingen ("Ich will nur noch eins: die nächste Party, den nächsten Rausch"), bis ihn 1995 erstmals ein Freund als Türsteher gewinnt. Er beginnt in einem zum Club umfunktionierten Schuhladen unter S-Bahn-Arkaden und landet nach einer Zwischenstation in der Fetisch- und Lederschwulenszene schließlich im Berghain.

"Nach inzwischen 20 Jahren an der Tür habe ich gute Antennen dafür, wer stört und wer Ärger macht und welche Gäste eine gute Mischung für die Nacht ergeben", schreibt er. Wer aber nun hofft, den heißen Tipp für den Einlass in die Heiligen Hallen zu bekommen, wird bitter enttäuscht. Alles geht: Schwarzes Leder oder weißes Leinen, Jeans oder Schottenrock, Pamela-Anderson-Verschnitt oder Anwalt im Doppelreiher - Hauptsache, die Mischung stimmt.

Marquardt selbst ist inzwischen, wie er versichert, ein "Geläuterter": Keine Drogen, keine Zigaretten, kaum Alkohol. Und zum Dienst eisern nur Knäckebrot, Schokoriegel und Banane.

"Es muss so eine Art innere Lebensrettungsklappe in mir gefallen sein", sagt er, "anders kann ich mir nicht erklären, dass ich da raus bin."