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Jan Wagners "Regentonnenvariationen"

11.03.2015, 14:21

München - Was gibt es Profaneres als eine lose Zaunlatte? Für Jan Wagner ist sie Aufforderung, seinen Blick dahinter schweifen zu lassen: "... durch wiesen, elektrisch vom grillensommer, vorbei an koppeln, am wippenden korn..."

Natürlich sind es nicht die permanente Kleinschreibung im jüngstem Lyrikband "Regentonnenvariationen" des mehrfach preisgekrönten Dichters und auch nicht die manchmal irritierenden Zeilenbrüche, die seine Poesie so besonders machen.

Es ist sein Vermögen, Alltägliches in allen Farben und Facetten zu beleuchten, so dass es zu etwas Bemerkenswertem wird. Und genauso ist es: Was Wagner sieht, wird bemerkt. Vor allem gesehen, aber auch gefühlt, geschmeckt, gehört. Die "Regentonnenvariationen" sind Poesie gewordene Wahrnehmungen, mit denen der gebürtige Hamburger alle Sinne anspricht.

Allein die titelgebende Tonne - ein altes Blechfass ("silberne orgelpfeife") - ist Quell für 14 Betrachtungen, die ekeln, spielen, träumen, frösteln lassen und viel mehr. Damit nicht genug: Der neue Gedichtband lässt sinnieren über Vergänglichkeit ("gräber"), Perfektion ("die tassen"), Wunder ("lazarus") oder auch Launen der Natur ("grottenolm").

Besonders die Natur bietet dem 43-Jährigen einen scheinbar unerschöpflichen Vorrat an besonderen Gedanken in schönen Worten: "so viel schlaf in einem baum, so viel kugeln aus fell, in all den astgabeln. eine boheme der trägheit, die sich in den wipfeln hält und hält." Am Ende versinken die "koalas" "in einem traum aus eukalyptus". "die blutbuche" ist eine "flammende pagode" und Mücken erscheinen Wagner "als hätten sich alle buchstaben auf einmal aus der zeitung gelöst und stünden als schwarm in der luft".

Nicht zu vergessen der "giersch", jenes Gedicht über ein Unkraut, das den Band eröffnet: Es ist ein Spiel mit Zischlauten. Der Giersch, der "emporschießt hinter der garage beim knirschenden kies, der kirsche: giersch als schäumen, als gischt, der ohne ein geräusch geschieht, bis hoch zum giebel kriecht, bis giersch fast überall sprießt, im ganzen garten giersch sich über giersch schiebt, ihn verschlingt mit nichts als giersch." Und nur in diesem ersten der 57 Gedichte lässt Wagner etwas aufblitzen, das er sich ansonsten eher untersagt: Ironie. Sein Giersch ist nämlich weiß und "keusch wie ein tyrannentraum".

Nicht alle Gedichte des Mannes, der inzwischen Berlin als Wohnort den Vorzug gab, sind leicht zu lesen, denn sie folgen keiner klassischen Form. Es scheint so, als formten sie sich selbst, ein Thema aufbauend und auflösend und dabei kleinste Details freilegend. Ja, sie sind schön, die neuen Wagnerschen Gedanken. Die meisten, auch die traurigen. Man könnte Saint-Exupérys "Kleinen Prinzen" zitieren, denn der Dichter sieht wie er mit dem Herzen, aber auch mit den Augen. Und diesen Blick überträgt er auf seine Leser.

- Jan Wagner: Regentonnenvariationen, Hanser Verlag München, 112 Seiten, 15,90 Euro, ISBN 978-3-4462-4646-1.