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Sasa Stanisic seziert ein uckermärkisches Dorf

11.03.2014, 11:51

Leipzig - Fürstenfelde in der Uckermark, zwei Seen. 703 Jahre alt, jedenfalls wenn die Dorfchronistin da nix dran gefälscht hat. Das ist der Schauplatz des neuen Romans von Sasa Stanisic.

Der 36-Jährige beschreibt eine Nacht "Vor dem Fest" in der tiefsten nordostdeutschen Provinz. Und das tut er so witzig und so ernst, so fein beobachtet und so lebendig, dass es ihm eine Nominierung für den Preis der Leipziger Buchmesse eingebracht hat.

Stanisic macht den Leser nach und nach mit etwa einem Dutzend Protagonisten bekannt. Da ist "Herr Schramm, ehemaliger Oberstleutnant der NVA, dann Förster, jetzt Rentner und, weil es nicht reicht, schwarz bei Von Blankenburg Landmaschinen". Herr Schramm will sich in der Nacht vor dem Fest vielleicht umbringen. Auf jeden Fall will er rauchen, und weil er nicht an Kippen kommt, erschießt er erstmal den Zigarettenautomaten.

Da ist der atheistische Sohn der depressiven Dorfchronistin, der Glöckner werden will: "Johann Schwermuth, 16, Jungfrau (arbeitet daran, das zu ändern), Azubi (Kaufmann im Einzelhandel, noch ein Jahr, dann Niedriglohnbeschäftigung), Fantasy-Rollenspiel, Glocken, Hip-Hop." Da ist Ana Kranz, die nachtblinde Heimatmalerin, gebürtig aus dem südosteuropäischen Banat, die diesmal ein Nachtbild des Dorfes malen möchte. Da ist auch ein Fuchs, der frische Eier für seine Welpen stehlen will.

Und so geht es immer weiter. In kurzen, geschickt aneinandergereihten Kapiteln und noch kürzeren Sätzen entwirft Stanisic ein sehr lebendiges Bild von Fürstenfelde, das dem realen Ort Fürstenwerder nachempfunden ist. Das Dorf will sein jährliches Annenfest feiern. Die Nacht davor ist unruhig, Herr Schramm, Johann, der Fuchs und alle anderen sind unterwegs. Jeder von ihnen hat etwas vor - Düsteres und weniger Düsteres. Was davon wird ihnen gelingen? Diese Frage treibt den Leser bis zur letzten der 320 Seiten voran.

Zwischendrin muss man immer wieder schmunzeln, so skurril sind Dialoge und Beschreibungen. Etwa die der drei Töchter des toten Tischlers, die nur noch zur Entrümpelung ihres Elternhauses anreisen und lieber im benachbarten Carwitz übernachten. "Leute sagen, da ist es schön. Sie sagen: Hans Fallada. Wir sagen, Carwitz ist Mecklenburg, und Hans Fallada hat seine Frau schlecht behandelt." Es klingt wie Slapstick, doch Stanisic ist bei alledem sehr ernst. Er schafft es, das Innenleben eines Dorfes scharf zu zeichnen.

Der in Bosnien geborene Stanisic war bereits 2006 mit seinem Debüt "Wie der Soldat das Grammofon repariert" für den Deutschen Buchpreis nominiert. Spielte dieses Buch noch vor dem Hintergrund des Bürgerkrieges in Bosnien, verschlägt es ihn jetzt also nach Ostdeutschland. Das aber, sagt er, sei Zufall gewesen. "Vor dem Fest" soll kein Nachwenderoman sein. "Es war am Anfang eine Idee, die noch gar keine Region hatte. Ich wollte ganz unbedingt Geschichten erzählen, die eine kleine, abgeschlossene Welt nahebringen." Das gelingt Stanisic.

- Sasa Stanisic: Vor dem Fest, Luchterhand, München, 19,99 Euro, ISBN: 978-3-630-87243-8.