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"Morhin" - Die Mannwerdung eines Unsympathen

01.04.2014, 13:57

Berlin - Vor 75 Jahren begann der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Überfall auf Polen. Warschau wurde nach wenigen Tagen von Nazi-Truppen besetzt.

In diese Hölle aus Gewalt, Hunger und Entbehrung schickt der junge polnische Autor Szczepan Twardoch den unsympathischen Helden seines Romans "Morphin". In Polen wurde das Werk von der Kritik hochgelobt - dem deutschen Leser erschließen sich die Gründe dafür nicht so leicht.

Anders als seine Landsleute hungert und entbehrt der Antiheld Konstanty Willemann nicht. Der entlassene Offizier, Sohn deutsch-polnischer Eltern, säuft und hurt sich durch das besetzte Warschau. Ständig ist er auf der Jagd nach der nächsten Dosis Morphium. Eher widerwillig lässt er sich in den polnischen Widerstand verwickeln, übernimmt immer waghalsigere Aufträge - und reift daran.

Zum einen hat die Mannwerdung dieses Unsympathen in Polen fasziniert. Twardoch habe "einen Antihelden geschaffen, den man lieben muss", wirbt der Verlag Wydawnictwo Literackie. Zum anderen bricht "Morphin" ein Tabu: In der polnischen Kriegsliteratur gab es viele heldenhafte Widerstandskämpfer und Soldaten, aber wohl noch nie einen Versager, einen Antihelden. Trotzdem passt Willemann ins historische Bild: "Der Beginn des Krieges war für polnische Männer keine Stunde der Ehre", folgerte die "Gazeta Wyborcza".

Die Zeitschrift "Polityka" schwärmte von einem "perfekt gebauten Roman". Doch was ist perfekt gebaut oder auch nur glaubhaft an der Konstellation einer nymphomanen polnischen Mutter und eines kriegsversehrten deutschen Vaters? Überdeutlich kokettiert das Buch mit dem Unmoralischen, Verderbten. Schon der Titel zielt darauf ab. Verrucht soll auch Willemanns Verhältnis zu Frauen wirken - zur erotischen Hure Salomé, zu Ehefrau Hela, die ihn selten ranlässt, zur Jugendfreundin Iga und zur adeligen Untergrundkämpferin Dzidzia.

"Warum bin ich ein Mistkerl, ein Schwein, eine moralische Null, ein gemeiner Hund?" fragt sich Konstanty anfangs. Das Philosophieren über die eigene Verkommenheit bremst seitenlang die Handlung. Kurz vor seinem Ende herrscht größere Klarheit: "Ich bin Konstanty Willemann, und diene weder Polen noch den Deutschen, weder Gott noch dem Teufel, ich diene niemandem." Verrätselt wird das Geschehen durch eine allwissende Frauenstimme. Spricht hier die Liebe, der Krieg, der Tod, gar Polen selbst? Im Polnischen sind alle diese Worte weiblich.

Autor Twardoch ist Jahrgang 1979 und lebt in Niederschlesien. So sehr er sich von der polnischen Erzähltradition absetzt, knüpft er doch daran an. In "Morphin" lässt er Jaroslaw Iwaszkiewicz auftreten, erwähnt Czeslaw Milosz, Julian Tuwim und andere. Doch wer als Deutscher etwas über Polen vor und im Krieg lesen will, sollte sich lieber an diese älteren Autoren halten: eben an Iwaszkiewicz, an "Die schöne Frau Seidenmann" von Andrzej Szczypiorski oder "Warschauer Karwoche" von Jerzy Andrzejewski.

- Szczepan Twardoch: Morphin. Rowohlt Berlin, 592 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-87134-779-5.