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Späte Würdigung - Der Antikriegsroman "Schlump"

20.05.2014, 12:48

Berlin - Hans Herbert Grimm hatte mit seinem Antikriegsroman "Schlump" einfach Pech. Als er das Buch 1928 veröffentlichte, war ihm Erich Maria Remarque mit "Im Westen nichts Neues" gerade zuvorgekommen.

Remarques Buch über die Schrecken des Weltkriegs verkaufte sich 10 000 Mal am Tag. Von "Schlump" dagegen waren nach ein paar Monaten gerade einmal 5000 Exemplare weggegangen. Als sich der Wirbel um "Im Westen nichts Neues" endlich gelegt hatte, war es für "Schlump" zu spät. Der Roman wurde vergessen. Allerdings nicht von den Nazis. Sie verbrannten und verboten das ihnen verhasste Werk.

Hans Herbert Grimm (1896-1950) hatte bereits geahnt, welche Sprengkraft es enthielt. Deshalb veröffentlichte der Lehrer aus Altenburg (heute Thüringen) den Roman nicht unter seinem Namen. Als die Nazis an die Macht kamen, mauerte er sein Buch zu Hause ein.

Jetzt hat der Verlag Kiepenheuer & Witsch das vergessene Antikriegsbuch wieder herausgebracht - und zwar in der wunderschönen Original-Umschlaggestaltung von Emil Preetorius und mit Illustrationen von Otto Guth. In voller Länge heißt der Roman "Schlump - Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt Schlump. Von ihm selbst erzählt". Nicht umsonst erinnert dieser barocke Bandwurm-Titel an den Simplicissimus von Grimmelshausen.

Denn tatsächlich ist Schlump ein moderner Simplicissimus. Ein naiver, heiterer Zeitgenosse, der mit großer Unbedarftheit in den Krieg hinein stolpert und dort mit der grausamen Wirklichkeit konfrontiert wird. Auch der brave Soldat Schweijk fällt einem als Vergleich ein. Formal erinnert "Schlump" in seiner etwas archaischen Form zudem an die Märchen der Brüder Grimm, nur ist der Roman noch grausamer.

Der Beginn erscheint allerdings fast surrealistisch in seiner Harmlosigkeit: Emil Schulz wächst als Sohn eines Schneiders in behüteten Verhältnissen auf. Nach einem Lausbubenstreich verpasst ein Schutzmann ihm den Namen "Schlump", mit dem er fortan durchs Leben läuft.

Von der Kriegsbegeisterung mitgerissen, meldet er sich im Sommer 1915 mit 17 Jahren freiwillig als Soldat. Zunächst allerdings trifft er es gut. Er kommt nicht direkt an die Front, sondern wird wegen seiner Sprachkenntnisse in der Verwaltung eingesetzt. Der junge Mann wird Herrscher über drei französische Dörfer. Das Leben dort scheint wie im tiefsten Frieden. Schlump kommt bei der Bevölkerung gut an, er gewinnt im Sturm viele Frauenherzen. Das größte Drama, das er in dieser Zeit erlebt, ist der Fall eines Jungen, dessen Kopf in einem Nachttopf stecken bleibt und herausgeschnitten werden muss. Eine burleske Szene, die in groteskem Gegensatz zu den späteren Tragödien an der Front steht.

Denn irgendwann wird es für Schlump doch noch ernst. Er muss an die Front. Der Krieg verliert seine Unschuld. Als die Granaten Tag und Nacht um ihn herum einschlagen und seine Kameraden einer nach dem anderen fallen, beschleichen ihn erste Zweifel: "Es war ihm, als sei er aus einem tiefen Schlaf erwacht, er dachte zum ersten Mal in seinem Leben nach über sich und die Welt. Er hatte einen Augenblick lang die goldene, kindliche Harmlosigkeit verloren."

Und an einer anderen Stelle heißt es: "Schlump war schrecklich enttäuscht von diesem Krieg." Fast schon naiv mutet diese Bemerkung an angesichts der folgenden apokalyptischen Szenen. Etwa das Bild eines Infanteristen, der beim Essenholen fällt: Auf der abgerissenen Schädeldecke liegt sein Gehirn "fein sauber" wie ein Menü ausgebreitet. Schlump erlebt den Krieg als böse Traumwelt.

Es ist gut, dass der Verlag diesen vergessenen Klassiker im Erinnerungsjahr zum Ersten Weltkrieg wieder ausgegraben hat. Denn "Schlump" bietet einen originellen, ganz eigenen Blick auf das Kriegsgeschehen. Grimm verarbeitet darin auch persönliche Erlebnisse. Der Autor nahm übrigens ein tragisches Ende. Er verhedderte sich in den Fallstricken der Politik. Nachdem er aus Opportunitätsgründen in die NSDAP eingetreten war, durfte er in der DDR nicht mehr arbeiten. Aus Verzweiflung nahm er sich 1950 das Leben.

- Hans Herbert Grimm: Schlump. Geschichten und Abenteuer aus dem Leben des unbekannten Musketiers Emil Schulz, genannt Schlump. Von ihm selbst erzählt, Kiepenheuer & Witsch, Köln, 352 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-462-04609-0.