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"Shmekendike Blumen": Walser und die jiddische Literatur

09.10.2014, 17:00

Überlingen - "Ich hatte kaum eine Ahnug, dass es einmal eine jiddische Literatur gegeben hat", schreibt Martin Walser gleich zu Beginn seines neuen Buches. In "Shmekendike Blumen" tastet der Autor sich durch genau diese Welt: die moderne jiddische Literatur.

Der Essay soll - wie der Untertitel verrät - ein "Denkmal" für den Schriftsteller Sholem Yankev Abramovitsh (1835-1917) sein, auf dessen Spuren Walser sich bewegt.

Für den Leser stellt sich allerings gleich zu Beginn ein Problem: Walser geht seine Schritte in die jiddische Literatur nicht allein. Er bewegt sich am Werk der Literaturwissenschaftlerin Susanne Klingenstein entlang - oder mit ihr mit, hinter ihr her. Ihr Buch "Mendele der Buchhändler: Leben und Werk des Sholem Yankev Abramovitsh" ist ebenfalls im September erschienen, erzählt die Lebensgeschichte des jiddischen Schriftstellers und führt in sein Werk ein.

Wer Klingensteins Arbeiten nicht kennt, für den ist "Shmekendike Blumen" daher nicht so einfach verständlich. Dabei gibt Walser zahlreiche Einblicke in ihre Texte und setzt die Werke von Abramovitsh direkt daneben, um ihn dem Leser näher zu bringen.

Der jüdische Autor, der auch unter dem Namen Mendele Moicher Sforim bekannt ist, schrieb zunächst auf Hebräisch - bis er erkannte, dass es ein "Widerspruch gegen sich selbst war, in der Sprache zu schreiben, die die Leute, denen er nützlich sein wollte - und das wollte er: nützlich sein -, nicht verstanden", schreibt Walser. Von da an wechselt Abramovitsh ins Jiddische.

Mit seiner Freude über diese Sprache steckt auch Walser an: "Es wäre zu armselig, wenn wir überhaupt nicht wahrnehmen, erleben könnten, was Jiddisch ist", schreibt der 87-Jährige. "Meine Empfehlung: So langsam lesen wie noch nie. Den Wörtern die Chance geben, in uns Echos zu wecken."

Doch man kann in diesem Buch nicht lesen, ohne den Bezug zu einem bestimmten Punkt in Walsers Leben herzustellen: 1998 zog der Autor nach seiner Frankfurter Paulskirchenrede über die vermeintliche "Instrumentalisierung" der Holocaust-Schande als dauerhafte "Moralkeule" heftige Kritik auf sich.

Auch in Walsers Werk meinen manche Kritiker antisemitische Tendenzen zu erkennen. Dass man ihm dies vorwerfen konnte, habe er nie begriffen, schrieb Walser bereits in seinem Essay "Über Rechtfertigung, eine Versuchung", der Anfang 2012 erschien. "Ein Schriftsteller, wenn er halbwegs bei Trost ist, kann nichts anderes sein als ein Schriftsteller."

In "Shmekendike Blumen" heißt es: "Das Außmaß unserer Schuld ist schwer vorstellbar. Von Sühne zu sprechen ist grotesk." Ihm sei im Lauf der Jahrzehnte vom Auschwitz-Prozess bis heute immer deutlicher geworden, dass "wir, die Deutschen", die Schuldner der Juden blieben. "Bedinungslos. Also absolut. Ohne das Hin und Her von Meinungen jeder Art. Wir können nichts mehr gutmachen. Nur versuchen, weniger falsch zu machen."

- Martin Walser, Shmekendike Blumen. Rowohlt Verlag, Reinbek, 144 S., 14,95 Euro, ISBN 978-3-498-07387-9.