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Zeitlos aktuell: Jacksons Trinkerroman neu aufgelegt

18.11.2014, 09:40

Zürich - Auch Komasaufen hat eine eigene Dramaturgie und kann trotz des absehbaren Ausgangs spannender Lesestoff sein. Brilliant, gnadenlos und stilistisch trocken führt das Charles Jackson (1903-1968) in seinem neu übersetzten Trinkerroman "Das verlorene Wochenende" vor.

Bei der Erstveröffentlichung vor 70 Jahren kannte der selbst alkoholabhängige US-Autor den heutigen Modebegriff dafür nicht, dass sich jemand über Tage in Grund und Boden trinkt. Aber abgesehen von Etiketten hat sich an den Trinkerproblemen in der Zwischenzeit ja nichts geändert. Der Romantitel wurde selbst zum allgemein bekannten Etikett, seit der zweijährige Drogen-Dauerlauf von Ex-Beatle John Lennon Anfang der 70er als "The Lost Weekend" bekannt ist.

Jackson schickt seine autobiografisch gefärbte Hauptperson Don Birnam im Jahr 1936 auf eine fünftägige Trinktour durch Manhattan. Der junge, erfolglose Schriftsteller drückt sich vor einem Wochenende bei seinem Bruder und schließt sich lieber mit Whiskey in seiner Bude ein. Die Jagd auf den immer nötigen Nachschub treibt ihn in Bars, Geldmangel dabei zu kläglich scheiterndem Handtaschen-Diebstahl. Seine schwere Schreibmaschine, eigentlich unverzichtbar für den Weg zu Autorenruhm, schleppt Birnam durch die halbe Stadt zur Pfandleihe. Auch hier kläglich scheiternd.

Der Absturz geht, unterbrochen nur von kurzer, aber eben seliger Entspannung bei den Drinks, erbarmungslos weiter Richtung Sturz, Verletzung, Delirium, Ausnüchterungszelle. Alles verbunden mit immer neuen Demütigungen. Birnams hoffnungslose Täuschungen anderer, seine Selbsttäuschungen, Notlügen und Ausflüchte flicht Jackson kunstvoll zusammen mit geradeaus formulierten, nüchternen Reflexionen über die Gründe für den Hang an die Flasche: Ist es die eigene Vaterlosigkeit, die Last aus einer Alkoholabhängigkeit oder die unterdrückte Homosexualität?

Jackson wurde über den Erfolg seines Romans, auch als Hollywood-Film, nie froh. Ausgerechnet diesen habe er "in nüchternem Zustand geschrieben". 1961 nahm er sich das Leben. "Wer will schon einen Roman über einen Trunkenbold lesen?", lässt er seine Hauptfigur fragen. Thomas Mann wollte und hat Jacksons Hauptwerk nicht ganz zu Unrecht auf eine Stufe gestellt mit "Hunger" von Knut Hamsun, einem genialen Klassiker der Moderne.

- Charles Jackson; Das verlorene Wochenende. Aus dem Amerikanischen von Bettina Abarbanell, Dörlemann Verlag, Zürich, 352 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-908778-44-8.