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Dellarobbia enteckt die Welt der Schmetterlinge

27.01.2015, 15:29

München - An einem trüben Novembermorgen entflieht Dellarobbia Turnbow ihrem alten Leben. Sie lässt Mann, Kinder und Farm hinter sich, um mit ihrem Liebhaber durchzubrennen. Doch dann kommt alles ganz anders.

Auf dem Weg zur Jagdhütte, wo ihr Liebhaber sie erwartet, wird die junge Frau Zeugin eines seltsamen Naturphänomens. An den Bäumen hängen Tausende orangefarbener Schmetterlinge.

Dellarobbia erscheint es wie ein Wunder, ein biblisches Zeichen: "Hier stand sie nun ganz allein und starrte auf die glühenden Bäume. Ihr Erschrecken wurde von Faszination überlagert. Das hier war kein Waldbrand. Überirdische Schönheit war ihr erschienen. Nur allein für sie reckten sich diese orangefarbenen Äste nach oben, hoben sich die Schatten und verwandelten sich in Licht. Das alles hatte etwas zu bedeuten." Dellarobbia macht auf dem Absatz kehrt und begibt sich in ihr altes Leben zurück.

Was aussieht wie das Ende einer Geschichte, ist tatsächlich aber erst der Anfang. Denn Dellarobbias kopflose Flucht mag zwar missglückt sein, doch die Begegnung mit den Schmetterlingen eröffnet ihr eine ganz neue Welt. Davon erzählt das neue Buch von Barbara Kingsolver "Das Flugverhalten der Schmetterlinge". Der Roman der amerikanischen Bestsellerautorin schneidet sehr viele Themen auf einmal an: das Drama einer unpassenden Ehe, der Gegensatz zwischen ungebildeten Farmern und aufgeklärten Akademikern, zwischen Weltoffenheit und Provinzialität, Religion und Wissenschaft und nicht zuletzt zwischen wirtschaftlicher Ausbeutung und Umweltschutz.

Dellarobbias ungewöhnliche Entdeckung wird in ihrem kleinen Appalachenort zur Sensation. Die streng Religiösen in der ländlichen Gemeinde halten es für ein Wunder, Dellarobia selbst wird zum Medienstar, Fernsehteams rücken ihr auf die Pelle. Ihre geschäftstüchtige Schwiegermutter Hester weiß das Ganze gleich in klingende Münze umzusetzen, indem sie Eintrittsgelder von neugierigen Touristen verlangt. Nur Dellarobbias unbedarfter Mann Cub bleibt in all dem Trubel seltsam ungerührt und widmet sich weiter stoisch seinen Schafen. Schließlich tauchen auch noch Wissenschaftler auf, um das merkwürdige Phänomen zu studieren.

Der Biologe Ovid Byron und sein Studententeam sehen in den Millionen von Monarchfaltern allerdings kein überirdisches Wunder, sondern eine traurige Konsequenz des Klimawandels, der die eigentlich in Mexiko beheimateten Insekten zu merkwürdigen Wanderungen zwingt. Eine mexikanische Familie erzählt, wie Umweltkatastrophen die Falter aus ihrer sonnigen Heimat vertrieben haben.

Dellarobia, die einfache Farmerin, die einst wegen einer frühzeitigen Schwangerschaft auf den Collegebesuch verzichten musste, wird von Byron in die faszinierende Biologie der Monarchfalter eingeweiht. Es ist, als ob der Wissenschaftler für sie die Tür eines staubigen Kabuffs geöffnet hätte und nun plötzlich ein frischer Wind durch ihr Leben fegt. Die Schmetterlinge werden so zum Symbol der Befreiung aus geistiger Enge und Beschränktheit.

Kingsolver beschreibt all dies mit hintergründigem Humor. Ihre Heldin mag ungebildet und kaum welterfahren sein, aber sie hat gesunden Menschenverstand, Witz und Selbstironie. Mit Liebe zum Detail wird der Alltag der Farmer in Tennessee skizziert, eine Welt der Routine und materiellen Beschränktheit, die von den großen Wandlungen und Katastrophen auf dieser Erde aber keineswegs verschont bleibt. So ist Kingsolvers Buch auch eine klare Kampfansage an all diejenigen ihrer Landsleute, die den Klimawandel immer noch für Humbug halten.

- Barbara Kingsolver: Das Flugverhalten der Schmetterlinge, C. Bertelsmann Verlag, München, 464 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-570-10215-2.