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Pol Pot zwischen Revolution und Liebe

03.03.2015, 15:06

Berlin - Es ist Sommer 1955. Der junge Saloth Sar ist nach gescheitertem Pariser Studium nach Kambodscha zurückgekehrt. Für die Wissenschaft konnte er sich nicht erwärmen, dafür hat er im fernen Frankreich seine Leidenschaft für die Revolution entdeckt.

In Kambodscha ist die Stimmung aufgewühlt, die ersten freien Wahlen des unabhängig gewordenen Königreichs stehen an.

Sar fühlt seine politische Berufung. Er träumt von einem Land, in dem alle Menschen die gleichen Rechte und den gleichen Besitz haben: "Alles gehört uns allen". Doch da ist auch seine verführerische Verlobte Somaly, die kambodschanische Schönheitskönigin. Ein Leben an ihrer Seite würde Sicherheit und eine bürgerliche Zukunft bedeuten. Liebe oder Revolution: Sar muss sich entscheiden.

Für seinen Debütroman "Gesang für einen aufziehenden Sturm" hat sich der Schwede Peter Fröberg Idling eine der berüchtigsten Figuren der Weltgeschichte ausgesucht. Denn Saloth Sar ("Der Strahlende") ist niemand anderes als jener Mann, der Jahrzehnte später als Pol Pot zu schauerlicher Berühmtheit gelangte. Von 1975 bis 1978 errichteten er und seine Roten Khmer in Kambodscha ein kommunistisches Schreckensregime, dem mehrere Millionen Menschen zum Opfer fielen.

Pol Pot starb 1998 ohne jemals für seine Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Über sein Privatleben ist wenig bekannt. Doch Fröberg Idlings fiktive Liebesgeschichte basiert auf Gerüchten aus Pol Pots Bekanntenkreis. Es ist nicht das erste Buch des schwedischen Autors über den "Bruder Nummer 1" der Roten Khmer. Zuvor erregte seine literarische Reportage "Pol Pots Lächeln" großes Aufsehen.

Fröberg Idlings Roman ist in jedem Fall gewagt. Denn ist es nicht verharmlosend, wenn man einen Massenmörder als jugendlich verträumten Liebenden zeigt? Und ihn dann noch in eine Dreiecksgeschichte platziert, aus der er am Ende als Unterlegener hervorgeht? Ein Revolutionär aus enttäuschter Liebe? Tatsächlich ist das Risiko des Scheiterns groß. Umso erstaunlicher ist deshalb, was Fröberg Idling aus diesem Stoff gemacht hat.

An keiner Stelle gleitet er ins Kitschige ab. Das liegt zum einen an der kunstvollen Konstruktion des Romans, zum anderen an der atmosphärisch dichten Sprache. Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil schildert die Geschichte aus Sars Perspektive, der letzte aus Sicht seiner verwöhnten Verlobten Somaly. Der Mittelteil schließlich erzählt von Sary, jenem einflussreichen Politiker, in dessen Arme sich Somaly am Ende flüchtet.

Das Kapitel über Sar ist in der zweiten Person Singular geschrieben, was ungewohnt erscheint, aber in sich doch konsequent ist, denn so wirkt es wie eine einzige Selbstvergewisserung eines jungen Mannes, der sich zu Großem berufen fühlt, sich aber auch ständig Mut machen muss: "Du spürst, wie dich mit jedem Schritt eine ungewohnte Bitterkeit erfüllt. Du, der du auserwählt bist. Du, der du über die richtigen Kontakte, die richtige Erfahrung, die richtigen Kenntnisse verfügst. Dies hier stellt eine große Herausforderung für dich dar. Dies ist der Moment, in dem Du auf die Probe gestellt wirst."

Sar entscheidet sich schließlich gegen die "kleinbürgerlichen privaten Interessen" und für den "gerechten Befreiungskampf des Volkes". Doch er ist alles andere als der eiskalte Entscheider, als der er später auftritt, eher ist er ein Getriebener, denn allein die Untreue seiner Verlobten gibt am Ende den Ausschlag. Das alles spielt sich in einer Atmosphäre ab, die stark an die Indochina-Romane von Marguerite Duras oder Graham Greene erinnert.

Man spürt die schwüle Luft in der Stadt am Mekong, hört den ewigen Monsunregen niedergehen. In den Häusern qualmen noch Petroleumlampen, in den Straßen drängen sich Fahrraddroschken und am Flussufer spazieren vornehm gekleidete Paare entlang. Die Elite liest französische Zeitungen und sieht im Kino französische Filme. Diese postkoloniale Welt mit ihrem nostalgischen Charme wird Jahre später endgültig untergehen und Sar beziehungsweise Pol Pot wird ihr Totengräber sein.

- Peter Fröberg Idling: Gesang für einen aufziehenden Sturm, Insel Verlag, Berlin, 381 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3-458-17628-2.