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"Freischütz" Mummenschanz in Grün und Weiß

Carl Maria von Webers Schauer-Oper hatte bei den 21. Schlossfestspielen in Wernigerode Premiere.

Von Hans Walter 14.08.2016, 23:01

Wernigerode l Eine hervorragende Leistung des Philharmonischen Kammerorchesters unter Leitung von Musikdirektor Christian Fitzner, der Solisten und der Singakademie Wernigerode. Die Regie von Maximilian Ponader (41) und sein Ausstattungskonzept dagegen werfen Fragen auf.

Ponader hat eine kluge Konzeption geschrieben und eine ebenso gescheite Einführung vor der Premiere gegeben. Dabei vertraut er der Musik und dem wortgetreuen Libretto von Friedrich Kind. „Der Freischütz“ ist eindeutig in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg angesiedelt. Der Jäger und Freikugelgießer Kaspar (Till Bleckwedel) berichtet davon. Er war bei der Zerstörung Magdeburgs 1631 dabei. Das Wort vom „Magdeburgisieren“ machte als Begriff für das schrecklichste Massaker bis dato die Runde in ganz Europa. Eine ungemütliche Zeit!

Dieser Kaspar aber ist nicht brutal. Gewandet in einen Anzug mit Hut und einem weißen T-Shirt mit der silbernen Aufschrift „Fahr zur Hölle“ in Frakturschrift wirkt er wie der ausgeflippte Mann aus der Nachbarschaft. Er will Max‘ Seele verkaufen. Er hat einen durchtriebenen Verbündeten: Samiel, den wilden Jäger, den Teufel (Maximilian Ponader).

Sehr spielerisch setzt dieser das Geschehen in Gang. Zur Ouvertüre betritt er im silbernen, eng anliegenden Glitzerkostüm die Szene. David Bowie ist auferstanden. Dort trifft das Silberfischchen auf einen jungen Mann in einer Art Harnisch (Rainer Mesecke) und ringt ihn fast nieder: der Eremit.

Auf der nur sieben mal sieben Meter großen Bühne tummelt sich das gesamte Personal der Oper. Ponader turnt auf einer Traverse auf und ab, das Klettergerüst ist mit grauen Luftballons bestückt. Als Knalleffekt für die Schützen, die beim Fest „wacker dem Sternlein den Rest“ geben und auch sonst mit ihren grün und braun angespritzten Kinder-Spielzeug-Gewehren herumballern.

Die Kostüme (Isabell Post) sind Gegenwart. In den Grundfarben Grün und Weiß bis hin zu Perücken und Bärten, aufgepeppt mit farbigen Zutaten. Der böhmische Fürst Ottokar kommt als Comedian Atze Schröder ganz in Grün mit Sonnenbrille daher. Die Brautjungfern sind mit grünen Puscheln als Cheerleaderinnen verkleidet und trällern ihren Ohrwurm „Wir winden dir den Jungfernkanz aus veilchenblauer Seide“.

Warum dieser Mummenschanz als heutiger Spaßgesellschaft? Der Spagat gelingt nicht. Er konterkariert Kriegsschrecken, naiven Aberglauben und Religiosität des Librettos. Doch wenigstens ein Einfall führt weiter: In der Finalszene kriecht Samiel zu Kreuze. Per Handschlag bietet er seine Versöhnung mit dem Eremiten und seiner humanistischen Botschaft und Max an. Aber in der Realität wohl pure Illusion.

Bliebe über das eigentliche Ereignis zu reden: über die Musik. Sie ist romantisch, filigran, voller Wunder. Butterweicher Hörnerklang, rasante Streicherläufe, perlende Holz- und Blechbläser, Soli. Webers Kompositionskunst und seine charakteristischen Kombinationen von Instrumenten schaffen Stimmungen und Effekte. Die Musik parliert, ist ironisch, lyrisch, tänzerisch, lieblich, verzweifelt, bedrohlich.

Die jungen Solisten boten allesamt eine glänzend studierte Ohrenweide (Korrepetitor: Carl Philipp Fromherz). Beifall nach fast jeder Arie! Hervorragend Julia Cramer als Agathe. Ein lyrisch-dramatischer Sopran von großer Gestaltungskraft mit Zukunft!

Als keckes Ännchen bezaubert Linda Hergarten mit traumhaften Koloratursopran-Höhen und Spielfreude. Bei den Männern herausragend der Bass Kaspar mit guter Sprache, der verzweifelt suchende Jäger Max (Karo Khachatryan) mit schönem Heldentenor, Förster Kuno (Bartolomeo Stasch), Bauer Kilian (Zhive Kremshovski) und der Eremit mit seinem schwarzen Bass. Der (manchmal dem Orchester vorauseilende) Chor von 34 Sänger(innen) mit großen Aufgaben wurde von José V. López de Vergara studiert.

Zur Premiere gab es einen Notfall, als Ottokar (Darko Aleksandar Djordjevic) zusammenbrach und ins Harzklinikum gebracht wurde. Darstellerisch übernahm Regieassistentin Eunike-Maria Selent den Part, sängerisch C. P. Fromherz.

Sechs Minuten Applaus für den „Freischütz“.