1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. So ein Theater!

Grüne Zitadelle So ein Theater!

Wolfgang-D. Sebastian macht die Grüne Zitadelle in Magdeburg zur Bühne. Er ist der künstlerische Leiter des Theaters im Hundertwasserhaus.

Von Manuela Bock 26.03.2017, 00:01

Magdeburg l Manchen Menschen wird die Bestimmung in die Wiege gelegt. Wolfgang-David Sebastian ist so ein Mensch. Sein Leben ist eine Bühne. Eine große Unterhaltungsshow. Nicht immer ist sie bunt, schrill und glitzert. An diesem Vormittag im Theater in der Grünen Zitadelle von Magdeburg ist seine Welt ein kleines Büro im Foyer, in das jeder Gast sofort Einblick hat, wenn er eintritt. „Das soll so sein“, sagt der künstlerische Leiter. „Ich möchte gesehen werden und alle sehen.“ Diese Offenheit gehört zu den Grundsätzen des 51-Jährigen, der vor sechs Jahren nach Magdeburg kam, um im kleinen Theater am Domplatz Regie zu führen in der Inszenierung „Arsen und Spitzenhäubchen“.

Das Jahr 2011 zeichnet den Beginn seiner Leidenschaft für das Haus, das er inzwischen zu einer beliebten Adresse für Boulevardtheater aufgebaut hat. Jetzt, da der kleine Saal im Untergeschoss nur spärlich beleuchtet ist, die Stühle aufgestapelt herumstehen und der Monteur hinter dem Tresen werkelt, ist für einen Gast kaum auszumachen, was hier passiert, wenn die Scheinwerfer an sind. Wenn die Bühne strahlt und der Zauber wirkt, den man Unterhaltung nennt. Wolfgang- David Sebastian geht auf einen kleinen Raum zu. In der unscheinbaren Garderobe erzählt er, wie sich dieser Zauber entfalten kann, und wie sehr er selbst darin verwoben ist.

Seine Geschichte beginnt im Alter von drei Jahren. Der gebürtige Bremer steht bereits als Knirps auf der Bühne und spielt Kindertheater. Um es vorwegzunehmen: Seitdem sind keine sechs Monate vergangen, in denen er nicht auf einer Bühne stand. Er ist ein Unterhaltungsmensch. Dabei sollte er eigentlich die elterliche Schlachterei übernehmen. Dass der Junge dann doch schnell ins musische Fach hinüberglitt, war kein Schock für die bodenständigen Eltern. Die Familie teilt sich seit sechs Generationen in Künstler und Kaufleute auf. Die Tante ist Opernsängerin, sein Bruder hat kein Faible für Kunst.

Dafür hat Wolfgang-David Sebastian umso mehr davon abbekommen, spielt schon damals bei Schulaufführungen, leitet mit zwölf Jahren drei Theatergruppen. Und schon damals paukt er nicht nur selbst Texte, sondern kümmert sich um die Organisation. Statt Hamlet oder Faust widmet sich der Künstler auch in jungen Jahren der Boulevard-Kunst. „Ich wollte die Menschen schon immer einfach unterhalten“, erinnert er sich. Mit dem Abiturzeugnis macht er sich direkt auf den Weg nach Hamburg, während die anderen noch beim Abiball feiern, ist Wolfgang-David Sebastian schon an der Schauspielschule. Hier lernt er das Handwerk, Phonetik, die Gesamttechnik. Er sagt: „Es gibt viele Talente, die keine Ausbildung haben, aber das reicht oft nicht, um mehr als 50 Jahre im Beruf zu bestehen. Ich wusste, dass ich davon immer leben will.“

In Hamburg lernt er auch, was es heißt, Unterhaltung auf die Beine zu stellen. „Ich wollte nicht nur spielen können, sondern das ganzheitliche Erlebnis“, erklärt Sebastian. Das sucht und findet er auf vielen Stationen, bei Engagements oder beim Tournee-Theater. Zweieinhalb Jahre tingelt der junge Bremer durch Deutschland.

Er gehört nie zu den Künstlern, die vom Bus direkt auf die Bühne gehen, ohne sich umzusehen. Wolfgang-David Sebastian will vieles sehen, Inspiration erhalten – auch um den Knochenjob zu verschönern. Mehr als 350 Vorstellungen, manchmal bis zu vier an einem Tag, spielt er damals. Der König Drosselbart ist seine Rolle. Als er in die Königsrolle schlüpft, immer und immer wieder, erlebt er hautnah, was er später selbst von seinen Kollegen fordert: „In diesem Job muss man diszipliniert sein und rund um die Uhr bereit sein, zu arbeiten“. Der künstlerische Leiter lacht viel, wenn er wortreich und offen erzählt. Aber an dieser Stelle lacht er noch lauter. Er erzählt von einer Zuschauerin, die ihn erst kürzlich gefragt hatte: „Was machen Sie eigentlich tagsüber?“ „Im Grunde“, sagt er, „war das nicht nur Unwissen, sondern ein Kompliment. Wir haben alles so leicht auf die Bühne gebracht, dass es für sie nicht nach Arbeit aussah.“

Arbeit gibt es jede Menge für ihn. Der Theatermensch wird getrieben von Spiellust und Wissensdurst. So leicht die boulevardeske Kunst auch wirkt, für die er lebt – er selbst macht es sich selten leicht. Immer geht noch ein bisschen mehr. In der Zeugnismappe von Wolfgang-David Sebastian finden sich darum auch zwei Uni-Abschlüsse, einer in Germanistik, der andere als wissenschaftlicher Bibliothekar. Das wollte er „einfach noch machen neben dem Theater, um den Blick zu weiten“. Sein Geld verdient sich der einstige Student mit Unterhaltungsshows, mit Nummernprogrammen und dem Einsprechen von Werbetexten. Er schlägt sich durch, schlägt aber Angebote von Stadttheatern aus. „Dramen oder zeitgenössische Stücke habe ich mir zwar immer schon gern angesehen, aber spielen will ich andere Dinge“, so die Begründung.

Fast könnte man meinen, der Weg in die Grüne Zitadelle wäre vorgezeichnet gewesen. Im Unterhaltungsfach und der Kleinkunst wird Wolfgang-David Sebastian zu einem Spezialisten, dessen Schatz die eigenen Erfahrungen und Kollegen-Kontakte sind. Als sein Vertrag in Berlin ausläuft, wo er den „Kultursalon“ im Schoeler-Schlösschen leitet und „der Mann für alles ist“, kommt der Ruf aus Magdeburg. Die Stadt ist ihm nicht fremd, in den 90er Jahren hat er hier für den Mitteldeutschen Rundfunk gearbeitet. Als Sebastian aus dem Zug steigt, denkt er, dass er die falsche Station erwischt hat. „Ich hatte eine graue Stadt in Erinnerung, was ich sah, war jedoch hell und modern.“ Und auch bunt – das Theater im schrägen Hundertwasserhaus gefällt dem Mimen auf Anhieb.

Seine erste Produktion „Arsen und Spitzenhäubchen“ kommt beim Publikum an, gehört noch heute zu den Erfolgsstücken. Er bekommt die künstlerische Leitung angeboten und überlegt nicht lange. „Ich wollte schon immer ein Theater leiten, das war eine einmalige Chance“, erinnert sich Wolfgang-David Sebastian. Damals ist die Bühne noch kaum bekannt. Die einzige Vorgabe besteht für ihn darin, meh- rere Genre zu bedienen. „Es gab noch keine großen Intendanten, der dem Haus seine Note aufgedrückt hatte, das war motivierend“, sagt er. Mit der ersten Produktion liegt der neue Mann im Haus goldrichtig: Ein selbst erarbeiteter Loriot-Abend ist sein Start. Von Anfang an bringt sich Sebastian voll ein. Er kümmert sich um die Werbung, die Engagements, um die Stücke. Immer spielt er selbst mit. Oft reißt er beim Einlass die Karten ab, um „dicht dran zu sein und zu hören, was den Zuschauern gefällt oder was sie nicht mögen“.

Als künstlerischer Leiter leistet er Aufbauarbeit, geht seinen Bekanntenkreis im Kopf durch. Gastspiele möchte er etablieren. Also, wer könnte hierher passen? Sein Lebenslauf kommt ihm auch hierbei zugute. Wenn Künstler zusammen auftreten, entsteht eine Gemeinschaft. Wer zur Gemeinschaft gehört, anruft, Charme hat, hat auch die Kontakte. Er nutzt sie, spricht Alfred Biolek an, Gisela May oder Ingeborg Krabbe. Es sind viele, die den Weg nach Magdeburg finden. Es spricht sich in der Gemeinschaft nicht nur herum, dass hier ein dankbares Publikum sitzt oder dass dieses Theater mit seiner Lage im Hundertwasserhaus einmalig in Deutschland ist. Die Künstler fühlen sich hier gut aufgehoben. „Ich versuche, mich immer in unsere Gäste hineinzuversetzen“, sagt Sebastian.

Von den eigenen Touren weiß er, dass man manchmal Ruhe braucht von einer langen Anfahrt – und sei es nur hier in der kleinen unscheinbaren Garderobe. Hier saßen schon viele. Auch viele Größen des ehemaligen DDR-Showgeschäfts. Diese Namen, die ihm als Bremer früher „gar nichts gesagt haben“, erarbeitet er sich. Wolfgang-David Sebastian, ohnehin eine wandelnde Mediathek, ein Kopf, der alles aufsaugt, das mit Unterhaltung zu tun hat, schafft sich eine „Informationsbasis“. Er taucht in die sozialistische Show-Vergangenheit ein und sucht nach jenen, die hier spielen können und wollen. Dagmar Frederic zum Beispiel ist schon fast ein Stammgast in Magdeburg. Viele Telefonate, viel Organisation, viele erfolgreiche Produktionen stecken hinter dem Erfolg. Inzwischen sagen fast alle Künstler zu, die er anfragt. „Es ist mir wichtig, dass wir hier ein Theater haben, das nicht nur in der Region angesehen ist, sondern überall. Ich kann heute im Hamburger Schmidt Theater anrufen oder in Mainz, und alle wissen, wer wir sind.“

Mehr als drei Jahre wirbelt Wolfgang-David Sebastian durch das Haus und durch die Weltgeschichte. Das Foyer füllt sich mit Plakaten. Das Publikum kommt. Die Stars auch, Dirk Michaelis oder Purple Schulz und viele andere kehren oft ein. Dann übernimmt der bisher stille Teilhaber René Wißmach als Geschäftsführer das Haus und erweitert auch finanziell den Spielraum. Die Produktionen werden größer, das Angebot reicht jetzt von Kabarett, Comedy und Lesungen bis zu den Boulevardklassikern. Eigenproduktionen entstehen hier, wie der Loriot-Abend, „Shirley Valentine – die Heilige Johanna der Einbauküche“ mit Lilo Wanders, oder das Musical „Ein Sommernachtstraum“. Bis zu 160 Produktionen laufen im Jahr. Heute Abend ist es die Komödie „Ladies Night – Jetzt wird gestrippt“ von Stephen Sinclair und Anthony McCarter. Gespielt wird die Geschichte einer Gruppe arbeitsloser Männer, die eines Tages auf die Idee kommt, als Menstrip-Truppe aufzutreten.

Vor der Bühne nehmen etwa 200 Zuschauer in bunt gemixtem Alter Platz. Sollen das bald mehr werden? „Nein“, sagt der künstlerische Leiter, „wir haben hier eine einmalige Atmosphäre, mit der wir den persönlichen Kontakt bis in die letzte Reihe halten und die Höflichkeit pflegen können.“ Vertrautheit, ein bisschen Heimeligkeit will er stets schaffen, das gehöre zum Boulevard-Theater. Und auch, dass hier Künstler agieren, die „für ihren Job brennen“. Nur dann könne die berühmte Energie fließen, die ein Stück zum Erfolg macht. „Man meint immer, es ist besonders schwer, Menschen zum Lachen zu bringen“, sagt Sebastian. „Dabei ist es am schwersten, sie zu packen, ganz leicht, aber auch ganz tief.“