1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Die Kunst des Nicht-Umkommens

EIL

InterviewDie Kunst des Nicht-Umkommens

Reinhold Messner über Gefahren, die innere Sicherheit und die Angst vor dem Tod.

Von Grit Warnat 04.12.2015, 00:01

Magdeburg l Reinhold Messner ist Extrembergsteiger, Abenteurer, Buchautor, streitbarer Mensch. Bevor er am 24. Januar in Magdeburg einen Vortrag zum „ÜberLeben“ hält, hat Grit Warnat mit dem 71-Jährigen über Gefahr, Sicherheit und Angst vor dem Tod gesprochen.

Volksstimme: Herr Messner, Sie haben als erster Mensch alle 8000er bezwungen. Würden Sie sich heute noch mal solch einen Berg zutrauen?

Reinhold Messner: Das hängt davon ab wie. Wenn ich sehe, wie man heute auf den Everest steigt ... Mit ein paar hundert Sherpas, die vorher alles präparieren, eine Piste bauen, zwei Sherpas, die ziehen, und drei, die schieben, und dann mit Sauerstoffgeräten, wäre das sicherlich noch möglich. Aber es wäre mir peinlich.

Haben Sie heute vielleicht auch mehr Angst vor dem Tod als früher?

Der Tod kommt näher. Bei den ganz großen extremen Touren war die Sorge des unmittelbaren Sterbens intensiver, als jetzt im fortgesetzten Alter zu wissen, dass ich noch ein paar Jahre habe. Aber ich lebe sowieso in einer Art tätigen Lebens. Da ist kein Unterschied zwischen 20 und 70. Aber ich habe weniger Zeit.

Sie sind immer in eine Welt gegangen, die für Menschen nicht gemacht ist. Sie wussten, Sie könnten umkommen. Warum tut man sich das an?

Wenn man umkommen könnte, ist das Nicht-Umkommen eine Kunst. Diese Kunst bringt einem, wenn man wieder raus ist aus dieser menschenfeindlichen Welt, ein Gefühl des Wiedergeborenseins. Es gibt einem die Chance, sich neu einzubringen.

Sie sehen die Gefahr als Bereicherung an?

Gefahr gehört mit zu dem Wichtigsten, was Leben bereichert. Ich rate Menschen deshalb aber nicht, dass sie diesen Gefahrenrand suchen. Der Mensch hat in den letzten 10  000 Jahren nichts anderes getan, als mehr und mehr Sicherheit zu schaffen oder sie zumindest zu suggerieren. Wir haben Absicherungen bis zur Lebensversicherung, Altersrente, haben Häuser. Länder haben Raketen, um sich vor anderen zu schützen. Der Grenzgänger hingegen geht freiwillig aus einem sicheren Raum hinaus in einen Gefahrenraum, um dort zu bestehen. Ihm ist das bewusst. Wenn ich mit dem Abgrund unter mir klettere, weiß ich, ich kann hinunterfallen. Wir wissen aber nicht, wo die nächsten Terroristen zuschlagen. Die ganze Welt verändert sich im Moment sehr radikal.

Der Mensch sehnt sich nach einer sicheren Welt. Warum sollte das im Alpinismus nicht so sein?

Sicherheit ist eine Angelegenheit, die in mir entsteht. Sie hat zu tun mit Erfahrung, mit Know-how, mit Können. Aber diese Sicherheit hat wenig zu tun mit Sicherung, die ich als Stütze nutze, um meine Unsicherheit zu kaschieren. Und natürlich werden heute mehr Absicherungen gelegt als früher, aber sie killen am Ende den Alpinismus. Wenn Sie sicher sein wollen, dass nichts passiert, dürfen Sie nicht aufbrechen. Alpinisten gehen absichtlich in eine archaische Welt, in eine Welt, die nicht abgesichert ist.

Deshalb verzichten Sie auch nach Möglichkeit auf technische Hilfsmittel?

Ich habe ja diesen Verzichtsalpinismus geprägt. Es geht um Verzicht auf Hilfen, auf Netz und doppelten Boden. Wenn ich im Fels klettere, gibt es eine Selbstsicherung, aber auch sie ist minimalistisch. Vor mehr als 100 Jahren gab es eine ganz große Diskussion, die der Wiener Paul Preuß geführt hat und die in die Geschichte als Mauerhackstreit einging. Den Grundsatz von Preuß teile ich hundertprozent. Er sagte: Das Können ist des Dürfens Maß. Ich darf nur machen, was ich auch wirklich kann. Es geht um die innere Sicherheit.

Welche Sehnsucht trieb Sie an?

Ich bin als Kind, aus einer ganz engen Welt kommend, in diese Berge hineingewachsen. Mit der Kletterei bin ich schon als kleiner Bub in eine größere, weitere Welt gekommen. Ich wurde neugierig, was hinter dem Horizont ist. So kam ich bis in den hintersten Winkel dieser Erde und habe sehr früh auch angefangen, das Ganze nicht nur als eine sportliche beziehungsweise abenteuerliche Dimension zu sehen, sondern als eine kulturelle. Der traditionelle Alpinismus ist nach meinem Dafürhalten eine kulturelle Erscheinung. Der Alpinismus kommt ja aus den Alpen, er beginnt mit der Aufklärung und der Industrialisierung. Vorher ist kein vernünftiger Mensch auf Berge gestiegen, weil man Angst hatte vor bösen Geistern. Später erst wurde es eine Auseinandersetzung zwischen der Menschennatur und der Bergnatur.

Ist es diese Auseinandersetzung, die heute so viele Menschen auf die Berge zieht?

Ich denke, Bergsteigen im klassischen Sinn wird heute von weniger Menschen betrieben als früher. Es gibt allerdings viele, die die Berge erwandern. 90 Prozent der Kletterer klettern in der Halle. Und das ist ein reiner Sport, ein fantastischer, auch erfolgreicher Sport, er hat aber nichts mit Kultur zu tun. An den großen Bergen wie dem Mont Blanc oder am Everest passiert Tourismus. Es werden Pisten präpariert, damit man möglichst viele Leute raufbringen kann. Aber das ist nicht Alpinismus. Alpinismus hat nichts mit Tourismus zu tun. Er braucht keine Infrastruktur.

Apropos Infrastruktur. Sie sind immer wieder ins Ungewisse aufgebrochen. Gibt es das heute noch auf der Welt?

Wenn man über den Himalaya fliegt, sieht man viele Gipfel, die noch unbestiegen sind. Ja, das Ungewisse gibt es noch. Die Touristen gehen dorthin, wo der Berg berühmt ist: Matterhorn, Mont Blanc, Mount Everest, Kilimandscharo. Die anderen Berge sind frei. Das Überlaufensein ist punktiert.

Gibt es für Sie das Wort Gipfelglück?

In den Alpen vielleicht, ja, da gibt es das, wenn man rechtzeitig oben und das Wetter fantastisch ist. Ich würde es aber nicht als Glück bezeichnen, ich würde eher sagen, es ist ein großartiger Moment. Glück empfinde ich vielmehr, wenn eine Tour gutgegangen ist, wenn die physische Verfassung gut war. Je höher die Berge sind, umso weniger gibt es das Gipfelglück. Oben fehlt einem die Zeit und der Sauerstoff, um zu genießen.

Sie haben zahlreiche Bücher geschrieben, halten Vorträge. Das sechste Mountain Museum wurde im Sommer übergeben. Sie haben einmal gesagt: Das Haben ist langweilig. Was kommt noch?

Das Museum habe ich immer noch im Blick. Aber ich fange an, Geschichten über die Leinwand zu erzählen und verhandele gerade mit einigen Produzenten. Ich bin ja ein Storyteller, erzähle seit vielen Jahren Geschichten in Büchern und Vorträgen. Aber in einem Film in fremde Abenteuer einzutauchen, das ist etwas ganz anderes. Zum Beispiel im Detail auszuarbeiten und filmisch aufzubereiten, wie 1865 das Matterhorn bestiegen worden ist. Ich bleibe aber in meinem Feld. Ich bleibe bei den Bergen.

Reinhold Messner ist mit „ÜberLeben – der neue Livevortrag“ am 24. Januar, 18 Uhr, im AMO Magdeburg zu Gast. Karten gibt es unter www.messner-live.de und bei biber ticket, Telefon 0391/5  99  97  00.

Mehr über Reinhold Messner gibt es auf seiner Homepage und auf der Internet-Seite des Messner Mountain Museums.