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Fernsehen Jürgen Vogel als weißer Äthiopier

Nach der Kurzgeschichte Ferdinand von Schirachs fragt „Der weiße Äthiopier“, ob Gerichte das persönliche Schicksal berücksichtigen sollten.

19.12.2016, 23:01

Berlin/Hamburg (dpa) l Frank Michalka (Jürgen Vogel) ist Bankräuber. Bewaffneter Wiederholungstäter gleich beim ersten Freigang. Ein Tätowierter, der verstockt schweigt, in seiner Zelle randaliert und dort versucht, sich umzubringen. „Der Fall ist aussichtslos. Da gibt‘s nichts zu verteidigen“, sagt der Pflichtverteidiger Dr. Weilandt (Thomas Thieme, „Die Stadt und die Macht“) zu seiner Referendarin Kleinschmidt (Paula Kalenberg, „Starfighter“). Doch die junge, mädchenhafte und ein wenig naiv wirkende Frau gibt sich damit nicht zufrieden. Es gelingt ihr, den Angeklagten mit einem afrikanischen Kinderlied zu Tränen zu rühren – und aus dem Mund Michalkas dessen ganze Geschichte zu erfahren, von der der ARD-Film „Der weiße Äthiopier“ am Mittwoch (20.15 Uhr) erzählt.

Sie führt vom Kinderheim über einen prügelnden Pflegevater, eine soziale Außenseiterrolle und den ersten Bankraub direkt in eine nordostafrikanische Dorfgemeinschaft. In der Wärme und Unvoreingenommenheit der Menschen Äthiopiens war der im Kern gutmütige Mann aufgeblüht – hatte sein geklautes Geld benutzt, um armen Kaffeebauern zu einer besseren Infrastruktur zu verhelfen. Und die Liebe einer schönen Frau (Popmusik-Star Sayat Demissie) gefunden, mit der er sich über ein gemeinsames Kind freute. Bis der lange Arm der deutschen Justiz zugelangt und den Gesuchten in seiner Heimat in den Knast verbracht hat. Damit das Gericht wegen „schwerer räuberischer Erpressung“ und „Nötigung“ über ihn urteile.

Nach einer Kurzgeschichte (aus „Verbrechen“) des Bestsellerautors und Strafverteidigers Ferdinand von Schirach erzählt Regisseur Tim Trageser das Geschehen im ARD-Film „Der weiße Äthiopier“. Deutlich ist dabei zu spüren, dass es dem Zuschauer zu Herzen gehen und der bei seinem eigenen Urteil über den Gestrauchelten Verständnis für dessen Schicksal und Milde walten lassen sollte – wie es die Referendarin Kleinschmidt auch der Richterin (Nina Proll) nahe- legt. Dieser Grundgedanke ist ein wenig vergleichbar mit dem Furore machenden ARD-Projekt „Terror“ vom Oktober nach einem Theaterstück von Schirachs: Dabei durfte das Publikum über einen brisanten juristischen Fall abstimmen – und mehr als kühle Gesetzesauslegung persönliches Gerechtigkeitsempfinden zum Maßstab machen.

Außerdem ist die Koproduktion der Firma Moovie mit der ARD-Filmtochter Degeto eine umgekehrte Fluchtgeschichte – von Europa nach Afrika – mit gelungener Integration. Ein Lehrstück darüber, wie man Fremde in seine Mitte aufzunehmen hat, ihnen ihre Würde und Integrität zurückgibt. Die Darstellung des Gutmenschen gerät dann aber doch etwas sehr holzschnittartig. Von dem kann man sich tatsächlich etwas mitreißen oder angesichts der pädagogischen Offensichtlichkeiten auch abschrecken lassen. Doch gibt es Aspekte, die den Film nach dem Drehbuch von Heinrich Hadding in jedem Fall ansehbar machen.

Da ist zum einen das Spiel der Naturgewalt Vogel. Herzhaft unsentimental gelingt es dem Fernseh- und Kinostar (48, „Schoßgebete“ und demnächst auf RTL „Winnetou“), sowohl die aggressive Seite als auch den guten, hilfsbereiten Kern seiner Rollenfigur aufzuzeigen. Zum anderen gewinnt man Eindrücke von Landschaft, Kaffeeanbau und Gebräuchen Äthiopiens – einem der ärmsten Länder der Welt.

Von den Dreharbeiten vor Ort 2014 immer noch beeindruckt zeigt sich der Hauptdarsteller, der im Film einige Sätze in der für uns schwierigen Amtssprache Amharisch spricht, im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Die Menschen dort glauben sichtlich an das Gute“, sagte Vogel. „Ein sehr offenes Volk, das alles teilt, was es hat. So ist es – in einer Filmszene wird diese Geste ja auch geschildert – tatsächlich normal, dass du gefüttert wirst. Meine Kollegin Sayat Demissie und ein kleiner Junge aus der Crew haben mir auf diese Weise zu essen gegeben. Ein Ausdruck von Gastfreundschaft, der mich stark berührt hat.“