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Mobiltelfone Kunst für die "Generation Kopf unten"

24.04.2015, 07:40

Frankfurt/Main (dpa) | "Es ist ein Schlüsselobjekt unserer Gesellschaft", sagt die Professorin, "es beeinflusst uns geistig, körperlich und emotional": das Mobiltelefon. Birgit Richard ist Professorin für Neue Medien, sie erforscht Jugendkultur und Konsumästhetik.

Zusammen mit anderen Wissenschaftlern hat sie in Frankfurt eine aufsehenerregende Ausstellung auf die Beine gestellt. Es geht um die Frage, wie Handys unseren Alltag verändern - und die Kunst bereichern.

Hunderte Beispiele hat das Kuratorenteam für das Museum für Angewandte Kunst zusammengetragen. Für die Sonderschau "Hamster - Hipster - Handy. Im Bann des Mobiltelefons" (25. April bis 5. Juli) hat das Museum ein ganzes Stockwerk freigeräumt.

Zwei Jahre lang haben Wissenschaftler aus Frankfurt, Karlsruhe und Münster Objekte für diese Ausstellung zusammengetragen. Sie haben nicht nur 80 Künstler eingeladen, sondern auch unsere Konsumwelt durchforstet. Sie fanden Keksausstecher in iPhone-Form, Handyhüllen mit integriertem Schlagring, touchscreen-fähige Handschuhe oder einen Friseurumhang mit Guckloch. Aber das sind nur die Kuriositäten am Rande.

"Das Smartphone hat in fast einzigartiger Weise in den Alltag der Menschen hineingewirkt", sagt Wolfgang Ullrich, Professor für Medientheorie in Karlsruhe. In weniger als zehn Jahren seien "neue kulturelle Rituale" entstanden. Beispiel Selfies. Nicht jedes mit dem Handy geschossene Selbstporträt ist Kunst. Aber wenn der chinesische Dissident Ai Weiwei so seinen vom Regime beschränkten Alltag dokumentiert, dann vielleicht doch?

"Mit neuen Medien entstehen neue Kunstformen", erklärt Richard. Lynn Hershman Leeson montiert Selbstporträts hinter gesplitterte Handy-Displays - der Unfall wird zum ästhetischen Gewinn. Laurel Nakadate fotografiert sich täglich mit ihrem Smartphone - weinend. Alberto Frigo dokumentiert seit Jahren alles, was er in seiner rechten Hand hält, und klebt die winzigen Abzüge hintereinander. "Lifelogging" heißt dieser Trend, die digitale Vermessung der Welt.

Die "Generation Kopf unten" ist in der realen Welt zu Hause, aber auch in der Kunst, zum Beispiel in den ins Telefon versunkenen Skulpturen von Peter Picciani. Seit es Smartphones gibt, sind Armbanduhren zum Modeaccessoire degradiert, Papierkalender und Stadtpläne am Aussterben. Das Handy prägt die Art, wie wir fotografieren (mehr und wahlloser), wie wir Verabredungen treffen (kurzfristiger) oder wie wir erreichbar sind (immer).

Der Berliner Sprayer Sweza klebt Fliesen mit QR-Codes auf Graffitis - wer das Muster einscannt, sieht alle früheren Versionen. Bruno Ribeiro holt die Effektfilter von Instagram aus der virtuellen in die reale Welt. Solche Arbeiten findet Richard besonders spannend. "Die Verschränkung von materiell und immateriell, von analog und digital."

Man könne zum Mobiltelefon durchaus unterschiedliche Perspektiven einnehmen, gibt Prof. Ullrich zu, der selbst kein Handy besitzt. "Kritisch gesehen könnte man sagen, sie dominieren und manipulieren uns. Positiv betrachtet könnte man sagen, sie sozialisieren uns." Die Ausstellung jedenfalls, so hofft er, sei "weder technikeuphorisch noch kulturpessimistisch".

Für diese beiden Blickwinkel stehen "Hamster" und "Hipster" im zunächst rätselhaften Titel. Der Hipster, das ist die bejahende Seite: der moderne Großstadtbewohner, der sich ein Leben ohne Handy nicht vorstellen kann. Der Hamster symbolisiert die Gefahren: Vor Einführung des Mobilfunks wurde die Schädlichkeit von Handystrahlen an Nagetieren getestet.

Die "Hamster"-Seite: das sind Strombedarf, Ressourcenverbrauch, Überwachungsgefahr, Elektroschrott. Auch damit haben sich Künstler beschäftigt. Sie lassen einen Hamster per Laufrad den Handyakku aufladen oder vermitteln per Handyspiel Wissen über die Seltenen Erden, die für die Herstellung des Geräts verbraucht werden.

Wie auch immer man zum Mobiltelefon stehe, das Thema zu ignorieren, sei sinnlos, findet Richard, die das Archiv der Europäischen Jugendkulturen an der Frankfurter Goethe-Universität leitet. Die Kunst setze sich bereits damit auseinander, die Wissenschaft müsse das ebenfalls tun. "Das Ding ist da, und es geht nicht mehr weg."