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Mitarbeiter Thomas Combrink war Gast bei der "Text"-Reihe des Nordharzer Städtebundtheaters Ein kluger Abend zu Alexander Kluge

Von Hans Walter 09.02.2013, 01:15

Zu einem Abend über den Schriftsteller und Fernsehproduzenten Alexander Kluge und seine alte Heimat Halberstadt hat das Nordharzer Städtebundtheater in die Domstadt eingeladen.

Halberstadt l Die Alte Kantine des Nordharzer Städtebundtheaters war überfüllt bei der Februar-"Text"-Veranstaltung am Donnerstag. Das Interesse galt dem Werk des am 14. Februar 1932 in Halberstadt geborenen Alexander Kluge, einem der wichtigsten Filmemacher, Theoretiker des Neuen Deutschen Films, Fernsehproduzenten, Erzähler und Essayisten Deutschlands.

Der Literaturwissenschaftler Dr. Thomas Combrink (Bielefeld), ein enger Mitarbeiter Kluges, trat in Dialog mit dem Dramaturgen Sebastian Fust und der lesenden Schauspielerin Theresa Zschernig.

Ostern 1946 bereits verließ Kluge die Heimatstadt, in der sein Vater Arzt, Geburtshelfer und Theatermediziner war, und ging nach Berlin-Charlottenburg zu seiner Mutter. Beide Städte waren in der Jugend seine Metropolen. Doch Halberstadt blieb ihm eine Sehnsuchtslandschaft als "Gelände, das in mein Innerstes eingewandert ist." Konkret und als Metapher.

Combrink waren Straßennamen wie "Seidenbeutel" oder Gröperstraße aus dem Klugeschen Topos vertraut. Orte, Schicksale und politische Zeitläufte werden vielfach und oftmals wiederkehrend in Kluges Werk reflektiert, vor allem in den fünf Bänden "Lebensläufe".

"Lebensläufe sind gesellschaftliche Gefäße", bekannte der Filmemacher einmal, und: "Nicht nur Menschen haben Lebensläufe, sondern auch die Dinge: die Kleider, die Arbeit, die Gewohnheiten und die Erwartungen. Für Menschen sind Lebensläufe die Behausung, wenn draußen Krise herrscht. Alle Lebensläufe gemeinsam bilden eine unsichtbare Schrift ..."

"Die Wirklichkeit ist der größte Geschichtenerzähler", ist seine Erfahrung. Bis in die 70er Jahre, dem Tod des Vaters, kehrte er regelmäßig in die Stadt zurück, die sich durch die Kriegszerstörungen und den Wiederaufbau bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte. So, wie die Straßennamen. Aus der Kaiserstraße wurde in der Nazizeit die Hauptmann-Loeper-Straße, umfirmiert zur Walther-Rathenau-Straße. Mit gesichtslosen Neubauten.

Alexander Kluge sucht im Gesamtwerk seiner Bücher und Filme nach Kontinuitäten wie nach Brüchen und Verwerfungen. Auch nach der Wende besuchte er Halberstadt - diesmal mit seinen Kindern. Und im fünften Buch der "Lebensläufe", 2012 erschienen, sind mehrere Kapitel dem Eisenbahnunglück von Hordorf, dem Mädchen aus Langenstein, das alle nahen Verwandten verlor, und Zeitzeugen gewidmet.

Dazu zeigte Sebastian Fust die digitalisierten Schmalfilme alter Halberstädter. Lebensgeschichten auch hier. Die körnigen Schwarz-Weiß-Bilder von der Sprengung der Paulskirchen-Ruine 1970 und die Erzählung über die letzten Tage von Kluges Vater "Jahrgang 1892" trafen zusammen. Sehr nachdenklich verließen die Besucher das Theater. Im wahrsten Wortsinn eine kluge Veranstaltung. Zwei weitere Abende über den Filmemacher und Autor werden in der "Texte"-Reihe noch folgen.