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Vor 80 Jahren wurde die Schriftstellerin Brigitte Reimann in Burg geboren Besessen vom Leben und vom Schreiben

Von Grit Warnat 20.07.2013, 03:11

Burg l Sie war eine lebenshungrige, unangepasste, temperamentvolle Frau, besessen vom Leben und vom Schreiben. Brigitte Reimann wurde nur 39 Jahre alt. Am Sonnabend vor 80 Jahren kam die Schriftstellerin in Burg zur Welt.

"Sie selbst ist gestorben, aber ihr Buch ,Franziska Linkerhand\' wird unter den Leuten sein, lange, glaube ich, denn es ist reich an Schönheit und reich an Gedanken, und es beschreibt einen Menschen, der Brigitte ähnlich ist: die tapfer war - und Angst haben konnte, die manchmal verzweifeln wollte - und sich immer wieder überwand, die Schweres ertragen musste - und letztlich lachen konnte."

Schriftsteller Helmut Sakowski (1924-2005) schrieb diese Worte über "Franziska Linkerhand", das Hauptwerk der Brigitte Reimann. Tatsächlich vergleicht man beim Lesen immer wieder die Reimann mit ihrer Protagonistin, der jungen Architektin, die voller Visionen steckte und die Liebe suchte. Brigitte Reimann war wie ihre erfundene Franziska: Lebenshungig und kompromisslos und ohne Scheu vor Auseinandersetzungen. Sie hat ihrer Fransziska so manche ihrer eigenen Empfindungen zugeschrieben.

Das Kult-Buch über eine junge Architektin bleibt unvollendet

Fast 600 Seiten dick war die DDR-Ausgabe. Ein Kult-Buch. Zehn Jahre arbeitete Brigitte Reimann an ihrem Roman, mit großer Willenskraft auch zwischen Krankenbett und Bestrahlungen. Das Manuskript noch einmal durchzuarbeiten, war ihr nicht mehr möglich. Das Buch, das ein illusionsloses und authentisches Bild der DDR der 1960er Jahre zeichnet, blieb unvollendet.

Den Erfolg erlebte die Autorin, die in Jugendjahren an Kinderlähmung erkrankte und später eine Fehlgeburt durchleben musste, nicht mehr. Brigitte Reimann erlag am 20. Februar 1973 ihrem Krebsleiden. Ein Jahr später erschien "Franziska Linkerhand".

Der Aufbau-Verlag Berlin hatte vor einigen Jahren den Text auf Grundlage der Vorabdrucke und der Typoskripte rekonstruieren lassen. Die Originalfassung zeige eine kantigere, schärfere, freimütigere "Franziska Linkerhand", heißt es vom Verlag. Der hat nach der Wende die Reimannschen Werke wieder aus dem zwischenzeitlichen Dornröschenschlaf geholt, verlegt unter anderem die bekannten Bücher "Ankunft im Alltag", "Die Geschwister" und "Das grüne Licht der Steppen". Neu herausgegeben wurden auch die Tagebücher und Briefe wie "Hunger auf Leben", "Ich bedaure nichts" und "Alles schmeckt auf Abschied", Aufzeichnungen, die ein leidenschaftliches, rastloses Leben einer Frau nachzeichnen, aber zugleich auch wichtige Dokumente der damaligen Zeit sind.

"Ich sterbe, wenn ich nicht schreibe", hatte Reimann einst gesagt. Als junge Frau war sie berühmt, später fast vergessen. Nach der Wende gab es für die längst verstorbene Schreiberin, die so sehr an die große Sache glaubte und ebenso sehr an ihr zweifelte, eine Renaissance. Selbst Marcel Reich-Ranicki lobte: "Ein Parlando, in dem der Odem großer Literatur weht."

Ein Reimann-Jahr in Burg mit Schreibtagen und Kulturpreis

Und heute?

Der Name verblasst wieder. Die Bücher seien nicht mehr so gefragt, sagt Verlagssprecherin Andrea Doberenz.

Das Jahr 2013 allerdings rückt Reimann wieder ins Licht. 80. Geburtstag und 40. Todestag waren Anlass für ihre Geburtsstadt und ihren einstigen Wohnort Burg, ein Brigitte-Reimann-Jahr nicht nur auszurufen, sondern sich intensiv und auf verschiedene Weise mit Leben und Werk und dessen Aktualität zu beschäftigen. Der Kulturstammtisch und der Friedrich-Bödecker-Kreis stemmten mit der Stadt ein Programm, das zum morgigen 80. Geburtstag in die zweite Halbzeit geht. Bis Ende des Jahres gibt es noch Gesprächsrunden, Schreibtage, Themenabende, im Dezember erstmals die Verleihung des Brigitte-Reimann-Kulturpreises.

Erinnert wird an Reimann auch in Hoyerswerda, wo sie einst im Kombinat "Schwarze Pumpe" arbeitete und gemeinsam mit ihrem zweiten Ehemann Siegfried Pitschmann einen Zirkel schreibender Arbeiter aufbaute, sowie in Neubrandenburg. In die Stadt war sie 1968 gezogen. Das dortige Literaturhaus trägt ihren Namen.

Dieses Erinnern sollte nicht abebben, wünschte sich Schriftstellerin Dorothea Iser zum Auftakt des Reimann-Jahres. Weil diese Reimann so viel zu erzählen hatte, so stark im Glauben war und kraftvoll im Leben. "Man kann von ihr so viel lernen."